schen Sinn auf einige Augenblicke einzu- schläfern, und ich eben nicht Lust habe zu botanisiren, meine Phantasie zuweilen un- vorsetzlich von Bildern belebt wird, die mich überzeugen, daß mein Herz, ungeachtet aller empfundenen Kränkungen, die erste Liebe noch fest hält; und ich fühl es, daß ihr Band im Grunde unauflößlich ist. Wenn ich aber Thatsache und Physiognomie wie- der vergleiche: so werd' ich überzeugt, daß die Frau, die unter Eidschwüren und Buß- thränen, mir ihre Treue von neuem gelobte, die erste beste Piquetparthie wieder anneh- men würde, die sich ihr darböthe. Dann versezt sich die Liebe, aus der Faser der Jmagination, in die Thränendrüse, und fucht durch diese ihren Ausgang. Jst es nicht traurig zu denken, daß Menschen, die ein natürlicher Jnstinkt mit einander verei- niget hat, wie ein Paar Haubenkrähen; die gemeinschaftlicher Vortheil zusammen fes-
selt;
E 3
ſchen Sinn auf einige Augenblicke einzu- ſchlaͤfern, und ich eben nicht Luſt habe zu botaniſiren, meine Phantaſie zuweilen un- vorſetzlich von Bildern belebt wird, die mich uͤberzeugen, daß mein Herz, ungeachtet aller empfundenen Kraͤnkungen, die erſte Liebe noch feſt haͤlt; und ich fuͤhl es, daß ihr Band im Grunde unaufloͤßlich iſt. Wenn ich aber Thatſache und Phyſiognomie wie- der vergleiche: ſo werd’ ich uͤberzeugt, daß die Frau, die unter Eidſchwuͤren und Buß- thraͤnen, mir ihre Treue von neuem gelobte, die erſte beſte Piquetparthie wieder anneh- men wuͤrde, die ſich ihr darboͤthe. Dann verſezt ſich die Liebe, aus der Faſer der Jmagination, in die Thraͤnendruͤſe, und fucht durch dieſe ihren Ausgang. Jſt es nicht traurig zu denken, daß Menſchen, die ein natuͤrlicher Jnſtinkt mit einander verei- niget hat, wie ein Paar Haubenkraͤhen; die gemeinſchaftlicher Vortheil zuſammen feſ-
ſelt;
E 3
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0069"n="69"/>ſchen Sinn auf einige Augenblicke einzu-<lb/>ſchlaͤfern, und ich eben nicht Luſt habe zu<lb/>
botaniſiren, meine Phantaſie zuweilen un-<lb/>
vorſetzlich von Bildern belebt wird, die mich<lb/>
uͤberzeugen, daß mein Herz, ungeachtet<lb/>
aller empfundenen Kraͤnkungen, die erſte<lb/>
Liebe noch feſt haͤlt; und ich fuͤhl es, daß<lb/>
ihr Band im Grunde unaufloͤßlich iſt. Wenn<lb/>
ich aber Thatſache und Phyſiognomie wie-<lb/>
der vergleiche: ſo werd’ ich uͤberzeugt, daß<lb/>
die Frau, die unter Eidſchwuͤren und Buß-<lb/>
thraͤnen, mir ihre Treue von neuem gelobte,<lb/>
die erſte beſte Piquetparthie wieder anneh-<lb/>
men wuͤrde, die ſich ihr darboͤthe. Dann<lb/>
verſezt ſich die Liebe, aus der Faſer der<lb/>
Jmagination, in die Thraͤnendruͤſe, und<lb/>
fucht durch dieſe ihren Ausgang. Jſt es<lb/>
nicht traurig zu denken, daß Menſchen, die<lb/>
ein natuͤrlicher Jnſtinkt mit einander verei-<lb/>
niget hat, wie ein Paar Haubenkraͤhen; die<lb/>
gemeinſchaftlicher Vortheil zuſammen feſ-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">E 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">ſelt;</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[69/0069]
ſchen Sinn auf einige Augenblicke einzu-
ſchlaͤfern, und ich eben nicht Luſt habe zu
botaniſiren, meine Phantaſie zuweilen un-
vorſetzlich von Bildern belebt wird, die mich
uͤberzeugen, daß mein Herz, ungeachtet
aller empfundenen Kraͤnkungen, die erſte
Liebe noch feſt haͤlt; und ich fuͤhl es, daß
ihr Band im Grunde unaufloͤßlich iſt. Wenn
ich aber Thatſache und Phyſiognomie wie-
der vergleiche: ſo werd’ ich uͤberzeugt, daß
die Frau, die unter Eidſchwuͤren und Buß-
thraͤnen, mir ihre Treue von neuem gelobte,
die erſte beſte Piquetparthie wieder anneh-
men wuͤrde, die ſich ihr darboͤthe. Dann
verſezt ſich die Liebe, aus der Faſer der
Jmagination, in die Thraͤnendruͤſe, und
fucht durch dieſe ihren Ausgang. Jſt es
nicht traurig zu denken, daß Menſchen, die
ein natuͤrlicher Jnſtinkt mit einander verei-
niget hat, wie ein Paar Haubenkraͤhen; die
gemeinſchaftlicher Vortheil zuſammen feſ-
ſelt;
E 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 3. Altenburg, 1779, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen03_1779/69>, abgerufen am 23.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.