bey iedem Versuch der beste Anschein vor- handen, daß der Prozeß gelingen werde: denn die herausgebrachte Masse war immer Beynahegold. Das machte den lieben Ael- tervater nur hitziger: er meinte, weil die Hauptsache gut von der Hand gehe, werde sich die Kleinigkeit, woran's noch gebrach, mit der Zeit wohl finden. Und so fraß in einer Reihe von Jahren der Schmelztiegel den ganzen bleyernen Götterdivan im Lust- garten; dennoch fehlt's immer an der Klei- nigkeit, die der Kunst den Ausschlag hätt' geben sollen. Bald hielt das erkünstelte Gold nicht den Stich, bald mangelte die spezifische Schwere, bald wieder die Feuer- beständigkeit u. s. w. Endlich als man dachte, nun wären alle Berg' überstiegen, schrieb der Adeptus eines Tages bey frü- hem Morgen über die Thür des Laborato- riums, nachdem er sie verschlossen hatte, die nachdenkliche Sentenz: O Eitelkeit
der
bey iedem Verſuch der beſte Anſchein vor- handen, daß der Prozeß gelingen werde: denn die herausgebrachte Maſſe war immer Beynahegold. Das machte den lieben Ael- tervater nur hitziger: er meinte, weil die Hauptſache gut von der Hand gehe, werde ſich die Kleinigkeit, woran’s noch gebrach, mit der Zeit wohl finden. Und ſo fraß in einer Reihe von Jahren der Schmelztiegel den ganzen bleyernen Goͤtterdivan im Luſt- garten; dennoch fehlt’s immer an der Klei- nigkeit, die der Kunſt den Ausſchlag haͤtt’ geben ſollen. Bald hielt das erkuͤnſtelte Gold nicht den Stich, bald mangelte die ſpezifiſche Schwere, bald wieder die Feuer- beſtaͤndigkeit u. ſ. w. Endlich als man dachte, nun waͤren alle Berg’ uͤberſtiegen, ſchrieb der Adeptus eines Tages bey fruͤ- hem Morgen uͤber die Thuͤr des Laborato- riums, nachdem er ſie verſchloſſen hatte, die nachdenkliche Sentenz: O Eitelkeit
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[202/0202]
bey iedem Verſuch der beſte Anſchein vor-
handen, daß der Prozeß gelingen werde:
denn die herausgebrachte Maſſe war immer
Beynahegold. Das machte den lieben Ael-
tervater nur hitziger: er meinte, weil die
Hauptſache gut von der Hand gehe, werde
ſich die Kleinigkeit, woran’s noch gebrach,
mit der Zeit wohl finden. Und ſo fraß in
einer Reihe von Jahren der Schmelztiegel
den ganzen bleyernen Goͤtterdivan im Luſt-
garten; dennoch fehlt’s immer an der Klei-
nigkeit, die der Kunſt den Ausſchlag haͤtt’
geben ſollen. Bald hielt das erkuͤnſtelte
Gold nicht den Stich, bald mangelte die
ſpezifiſche Schwere, bald wieder die Feuer-
beſtaͤndigkeit u. ſ. w. Endlich als man
dachte, nun waͤren alle Berg’ uͤberſtiegen,
ſchrieb der Adeptus eines Tages bey fruͤ-
hem Morgen uͤber die Thuͤr des Laborato-
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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 3. Altenburg, 1779, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen03_1779/202>, abgerufen am 18.12.2024.
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