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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 3. Altenburg, 1779.

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fühl kalten Mitleids, was ich da empfinde.
Kan sich Keiner das geben oder nehmen,
was eine Beylage der Natur ist; wär aber
doch begierig zu erfahren, ob mehr Leute
eben so genaturt sind wie ich. Meines
Wissens sind die Thränen, die das Zepter
Ahasveros geneigt, die Richterstühle er-
schüttert, das Recht gebogen, oder über
der Chikane gesiegt haben, auch die, wel-
che noch oft vor dem Parlament zu Paris
plädogiren, immer aus schönen Augen ge-
flossen.

Während der mütterlichen Harangue
hatt' ich Zeit ein Paar Bemerkungen zu
machen, die mir auffielen. Bey genauer
Betrachtung der weiblichen Tischgenossen-
schaft, schienen mir beyder Gesichtsformen
gar bekannt zu seyn, als hätt ich sie schon
irgendwo gesehen. Konnt' alles Nachsin-
nens ungeachtet nicht auf die Spur kom-
men, biß ich von ungefehr, weiß nicht

durch

fuͤhl kalten Mitleids, was ich da empfinde.
Kan ſich Keiner das geben oder nehmen,
was eine Beylage der Natur iſt; waͤr aber
doch begierig zu erfahren, ob mehr Leute
eben ſo genaturt ſind wie ich. Meines
Wiſſens ſind die Thraͤnen, die das Zepter
Ahasveros geneigt, die Richterſtuͤhle er-
ſchuͤttert, das Recht gebogen, oder uͤber
der Chikane geſiegt haben, auch die, wel-
che noch oft vor dem Parlament zu Paris
plaͤdogiren, immer aus ſchoͤnen Augen ge-
floſſen.

Waͤhrend der muͤtterlichen Harangue
hatt’ ich Zeit ein Paar Bemerkungen zu
machen, die mir auffielen. Bey genauer
Betrachtung der weiblichen Tiſchgenoſſen-
ſchaft, ſchienen mir beyder Geſichtsformen
gar bekannt zu ſeyn, als haͤtt ich ſie ſchon
irgendwo geſehen. Konnt’ alles Nachſin-
nens ungeachtet nicht auf die Spur kom-
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[157/0157] fuͤhl kalten Mitleids, was ich da empfinde. Kan ſich Keiner das geben oder nehmen, was eine Beylage der Natur iſt; waͤr aber doch begierig zu erfahren, ob mehr Leute eben ſo genaturt ſind wie ich. Meines Wiſſens ſind die Thraͤnen, die das Zepter Ahasveros geneigt, die Richterſtuͤhle er- ſchuͤttert, das Recht gebogen, oder uͤber der Chikane geſiegt haben, auch die, wel- che noch oft vor dem Parlament zu Paris plaͤdogiren, immer aus ſchoͤnen Augen ge- floſſen. Waͤhrend der muͤtterlichen Harangue hatt’ ich Zeit ein Paar Bemerkungen zu machen, die mir auffielen. Bey genauer Betrachtung der weiblichen Tiſchgenoſſen- ſchaft, ſchienen mir beyder Geſichtsformen gar bekannt zu ſeyn, als haͤtt ich ſie ſchon irgendwo geſehen. Konnt’ alles Nachſin- nens ungeachtet nicht auf die Spur kom- men, biß ich von ungefehr, weiß nicht durch

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Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 3. Altenburg, 1779, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen03_1779/157>, abgerufen am 27.11.2024.