terredung an, wiewohl diese auch zu Zeiten ganz anders lautet, als in den Gesichtern und Minen der Versammlung geschrieben stehet. Die Seel glaubt indessen immer mehr der Gebehrden- als der Wörtersprache. Wer weiß nicht, daß argwöhnische Leute mit Argusaugen die Gebehrden Anderer be- lauschen, und auf diese Beobachtungen mehr vertrauen, als auf Wort' und Thathand- lungen. Betheuret einem solchen Men- schenscheuen mit den feierlichsten Eidschwü- ren, daß ihr ihn mit Bruderliebe umfahet; zieht ihn aus dem Wasser, lauft für ihn durchs Feuer, er glaubt doch nicht, daß ihrs ehrlich mit ihm meint, so bald euch ei- ne mißgedeutete Gebehrde seinen Augen ver- dächtig macht. Ob nun gleich die Gesichts- kritler in ihren Konjekturen oftmals so un- glücklich sind, wenn sie mit ihren eignen Augen sehen, wie der Uebersetzer von den Werken der Philostrate, wenn er ohne den
Olea-
terredung an, wiewohl dieſe auch zu Zeiten ganz anders lautet, als in den Geſichtern und Minen der Verſammlung geſchrieben ſtehet. Die Seel glaubt indeſſen immer mehr der Gebehrden- als der Woͤrterſprache. Wer weiß nicht, daß argwoͤhniſche Leute mit Argusaugen die Gebehrden Anderer be- lauſchen, und auf dieſe Beobachtungen mehr vertrauen, als auf Wort’ und Thathand- lungen. Betheuret einem ſolchen Men- ſchenſcheuen mit den feierlichſten Eidſchwuͤ- ren, daß ihr ihn mit Bruderliebe umfahet; zieht ihn aus dem Waſſer, lauft fuͤr ihn durchs Feuer, er glaubt doch nicht, daß ihrs ehrlich mit ihm meint, ſo bald euch ei- ne mißgedeutete Gebehrde ſeinen Augen ver- daͤchtig macht. Ob nun gleich die Geſichts- kritler in ihren Konjekturen oftmals ſo un- gluͤcklich ſind, wenn ſie mit ihren eignen Augen ſehen, wie der Ueberſetzer von den Werken der Philoſtrate, wenn er ohne den
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terredung an, wiewohl dieſe auch zu Zeiten
ganz anders lautet, als in den Geſichtern
und Minen der Verſammlung geſchrieben
ſtehet. Die Seel glaubt indeſſen immer
mehr der Gebehrden- als der Woͤrterſprache.
Wer weiß nicht, daß argwoͤhniſche Leute
mit Argusaugen die Gebehrden Anderer be-
lauſchen, und auf dieſe Beobachtungen mehr
vertrauen, als auf Wort’ und Thathand-
lungen. Betheuret einem ſolchen Men-
ſchenſcheuen mit den feierlichſten Eidſchwuͤ-
ren, daß ihr ihn mit Bruderliebe umfahet;
zieht ihn aus dem Waſſer, lauft fuͤr ihn
durchs Feuer, er glaubt doch nicht, daß
ihrs ehrlich mit ihm meint, ſo bald euch ei-
ne mißgedeutete Gebehrde ſeinen Augen ver-
daͤchtig macht. Ob nun gleich die Geſichts-
kritler in ihren Konjekturen oftmals ſo un-
gluͤcklich ſind, wenn ſie mit ihren eignen
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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 3. Altenburg, 1779, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen03_1779/152>, abgerufen am 25.07.2024.
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