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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 3. Altenburg, 1779.

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sen. Woher das? Ganz natürlich daher,
weil sie ihre Predigten für Geist und Herz
kalkulirt haben, drum behagen sie dem Le-
ser; denn der urtheilt nach den Eindruck
aufs Herz: den Zuhörer aber übertäubt die
Modulation. Drum darfs einen nicht
wundern, wenn der kritische Apoll zuweilen
einen Marsyas schindet, den das Midas-
ohr seines Auditoriums mit lautem Beifall
krönt. Was Niemand hören mag, sollt'
man drucken, und die homiletischen Pro-
dukte, die dem Kirchsöller den Einsturz dro-
hen, sollten die Verfasser so weislich in ih-
ren unzugänglichen Bücherschrein verwah-
ren, wie die Mutter Natur ihren Schatz
Steinsalz in den Suhler Klüften verwahret.

Als die Versammlung nach geendigter
Mondenandacht aus einander ging, hielt
ich mich zu den feuerfarbenen Saloppen, zu
denen sich unterweges ein Weißmantel ge-
sellte. Jn einem düstern Fußpfad, zwi-

schen

ſen. Woher das? Ganz natuͤrlich daher,
weil ſie ihre Predigten fuͤr Geiſt und Herz
kalkulirt haben, drum behagen ſie dem Le-
ſer; denn der urtheilt nach den Eindruck
aufs Herz: den Zuhoͤrer aber uͤbertaͤubt die
Modulation. Drum darfs einen nicht
wundern, wenn der kritiſche Apoll zuweilen
einen Marſyas ſchindet, den das Midas-
ohr ſeines Auditoriums mit lautem Beifall
kroͤnt. Was Niemand hoͤren mag, ſollt’
man drucken, und die homiletiſchen Pro-
dukte, die dem Kirchſoͤller den Einſturz dro-
hen, ſollten die Verfaſſer ſo weislich in ih-
ren unzugaͤnglichen Buͤcherſchrein verwah-
ren, wie die Mutter Natur ihren Schatz
Steinſalz in den Suhler Kluͤften verwahret.

Als die Verſammlung nach geendigter
Mondenandacht aus einander ging, hielt
ich mich zu den feuerfarbenen Saloppen, zu
denen ſich unterweges ein Weißmantel ge-
ſellte. Jn einem duͤſtern Fußpfad, zwi-

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[142/0142] ſen. Woher das? Ganz natuͤrlich daher, weil ſie ihre Predigten fuͤr Geiſt und Herz kalkulirt haben, drum behagen ſie dem Le- ſer; denn der urtheilt nach den Eindruck aufs Herz: den Zuhoͤrer aber uͤbertaͤubt die Modulation. Drum darfs einen nicht wundern, wenn der kritiſche Apoll zuweilen einen Marſyas ſchindet, den das Midas- ohr ſeines Auditoriums mit lautem Beifall kroͤnt. Was Niemand hoͤren mag, ſollt’ man drucken, und die homiletiſchen Pro- dukte, die dem Kirchſoͤller den Einſturz dro- hen, ſollten die Verfaſſer ſo weislich in ih- ren unzugaͤnglichen Buͤcherſchrein verwah- ren, wie die Mutter Natur ihren Schatz Steinſalz in den Suhler Kluͤften verwahret. Als die Verſammlung nach geendigter Mondenandacht aus einander ging, hielt ich mich zu den feuerfarbenen Saloppen, zu denen ſich unterweges ein Weißmantel ge- ſellte. Jn einem duͤſtern Fußpfad, zwi- ſchen

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Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 3. Altenburg, 1779, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen03_1779/142>, abgerufen am 25.11.2024.