Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 3. Altenburg, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

Konterpunkt in der Welt ist. Daher erklär
ich mir ein Problem, das ausserdem schwer
zu lösen wär. Hab angemerkt, daß die
beliebtesten Prediger, die auf ihren Lehr-
stühlen mächtigen Beifall finden, und von
ihrer Heerde angestaunet werden, wenn sie
den dringenden Bitten ihrer Zuhörer nicht
widerstehen können, und ihre Worte der Er-
bauung an heiliger Stätte gesprochen, öf-
fentlich ans Licht zu stellen waghalsen, sel-
ten mit heiler Haut davon kommen; fährt
der ganze Kunstrichter Strick auf sie loß,
packt sie beym Fell oder beym Ohr und
schüttelt sie weidlich. Dahingegen Andere,
die durch ihr Predigen säumige Kirchengän-
ger machen, wenn sie ihre Meditationen,
die Niemand hören will, in die Druckerey
bringen, und vom Ohr an den Verstand
gleichsam appelliren, finden oft mehr Bei-
fall als sie vermuthen; werden von allen
Zeitungsbuden hochgerühmt und angeprie-

sen.

Konterpunkt in der Welt iſt. Daher erklaͤr
ich mir ein Problem, das auſſerdem ſchwer
zu loͤſen waͤr. Hab angemerkt, daß die
beliebteſten Prediger, die auf ihren Lehr-
ſtuͤhlen maͤchtigen Beifall finden, und von
ihrer Heerde angeſtaunet werden, wenn ſie
den dringenden Bitten ihrer Zuhoͤrer nicht
widerſtehen koͤnnen, und ihre Worte der Er-
bauung an heiliger Staͤtte geſprochen, oͤf-
fentlich ans Licht zu ſtellen waghalſen, ſel-
ten mit heiler Haut davon kommen; faͤhrt
der ganze Kunſtrichter Strick auf ſie loß,
packt ſie beym Fell oder beym Ohr und
ſchuͤttelt ſie weidlich. Dahingegen Andere,
die durch ihr Predigen ſaͤumige Kirchengaͤn-
ger machen, wenn ſie ihre Meditationen,
die Niemand hoͤren will, in die Druckerey
bringen, und vom Ohr an den Verſtand
gleichſam appelliren, finden oft mehr Bei-
fall als ſie vermuthen; werden von allen
Zeitungsbuden hochgeruͤhmt und angeprie-

ſen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0141" n="141"/>
Konterpunkt in der Welt i&#x017F;t. Daher erkla&#x0364;r<lb/>
ich mir ein Problem, das au&#x017F;&#x017F;erdem &#x017F;chwer<lb/>
zu lo&#x0364;&#x017F;en wa&#x0364;r. Hab angemerkt, daß die<lb/>
beliebte&#x017F;ten Prediger, die auf ihren Lehr-<lb/>
&#x017F;tu&#x0364;hlen ma&#x0364;chtigen Beifall finden, und von<lb/>
ihrer Heerde ange&#x017F;taunet werden, wenn &#x017F;ie<lb/>
den dringenden Bitten ihrer Zuho&#x0364;rer nicht<lb/>
wider&#x017F;tehen ko&#x0364;nnen, und ihre Worte der Er-<lb/>
bauung an heiliger Sta&#x0364;tte ge&#x017F;prochen, o&#x0364;f-<lb/>
fentlich ans Licht zu &#x017F;tellen waghal&#x017F;en, &#x017F;el-<lb/>
ten mit heiler Haut davon kommen; fa&#x0364;hrt<lb/>
der ganze Kun&#x017F;trichter Strick auf &#x017F;ie loß,<lb/>
packt &#x017F;ie beym Fell oder beym Ohr und<lb/>
&#x017F;chu&#x0364;ttelt &#x017F;ie weidlich. Dahingegen Andere,<lb/>
die durch ihr Predigen &#x017F;a&#x0364;umige Kirchenga&#x0364;n-<lb/>
ger machen, wenn &#x017F;ie ihre Meditationen,<lb/>
die Niemand ho&#x0364;ren will, in die Druckerey<lb/>
bringen, und vom Ohr an den Ver&#x017F;tand<lb/>
gleich&#x017F;am appelliren, finden oft mehr Bei-<lb/>
fall als &#x017F;ie vermuthen; werden von allen<lb/>
Zeitungsbuden hochgeru&#x0364;hmt und angeprie-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;en.</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[141/0141] Konterpunkt in der Welt iſt. Daher erklaͤr ich mir ein Problem, das auſſerdem ſchwer zu loͤſen waͤr. Hab angemerkt, daß die beliebteſten Prediger, die auf ihren Lehr- ſtuͤhlen maͤchtigen Beifall finden, und von ihrer Heerde angeſtaunet werden, wenn ſie den dringenden Bitten ihrer Zuhoͤrer nicht widerſtehen koͤnnen, und ihre Worte der Er- bauung an heiliger Staͤtte geſprochen, oͤf- fentlich ans Licht zu ſtellen waghalſen, ſel- ten mit heiler Haut davon kommen; faͤhrt der ganze Kunſtrichter Strick auf ſie loß, packt ſie beym Fell oder beym Ohr und ſchuͤttelt ſie weidlich. Dahingegen Andere, die durch ihr Predigen ſaͤumige Kirchengaͤn- ger machen, wenn ſie ihre Meditationen, die Niemand hoͤren will, in die Druckerey bringen, und vom Ohr an den Verſtand gleichſam appelliren, finden oft mehr Bei- fall als ſie vermuthen; werden von allen Zeitungsbuden hochgeruͤhmt und angeprie- ſen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen03_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen03_1779/141
Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 3. Altenburg, 1779, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen03_1779/141>, abgerufen am 25.11.2024.