werden, daß es damit eine ganz andre Be- wandniß hat.
Wenn ich nun solcher Gestalt den Anti- physiognostikern einräumen wollt', daß das physiognomische Studium nichts mehr als Phantaseykram und Spielwerk sey: so müs- sen sie mir doch hinwiederum zugestehen daß es das interessanteste und anmuthigste Spiel sey, welches der menschliche Witz ie- mals ausgedacht hat müßige Köpfe zu be- schäftigen, damit sie wenigstens nichts Schlimmers beginnen, so lang sie damit sich zu thun machen. Daher mein ich, hab Meister Lichtenberg sehr übel gethan, daß er dem Publikum das geliebte Spielwerk, wie ein strenger Pädagog seinen Eleven die Geige, Trommel, oder Pfennigtrompete aus der Hand zu nehmen und zu zertrüm- mern sich unterfangen hat, weil die iunge Herrschaft auf der Gasse des Lerms damit zu viel machte. Jn unserm spielenden Zeit-
alter,
werden, daß es damit eine ganz andre Be- wandniß hat.
Wenn ich nun ſolcher Geſtalt den Anti- phyſiognoſtikern einraͤumen wollt’, daß das phyſiognomiſche Studium nichts mehr als Phantaſeykram und Spielwerk ſey: ſo muͤſ- ſen ſie mir doch hinwiederum zugeſtehen daß es das intereſſanteſte und anmuthigſte Spiel ſey, welches der menſchliche Witz ie- mals ausgedacht hat muͤßige Koͤpfe zu be- ſchaͤftigen, damit ſie wenigſtens nichts Schlimmers beginnen, ſo lang ſie damit ſich zu thun machen. Daher mein ich, hab Meiſter Lichtenberg ſehr uͤbel gethan, daß er dem Publikum das geliebte Spielwerk, wie ein ſtrenger Paͤdagog ſeinen Eleven die Geige, Trommel, oder Pfennigtrompete aus der Hand zu nehmen und zu zertruͤm- mern ſich unterfangen hat, weil die iunge Herrſchaft auf der Gaſſe des Lerms damit zu viel machte. Jn unſerm ſpielenden Zeit-
alter,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0120"n="120"/>
werden, daß es damit eine ganz andre Be-<lb/>
wandniß hat.</p><lb/><p>Wenn ich nun ſolcher Geſtalt den Anti-<lb/>
phyſiognoſtikern einraͤumen wollt’, daß das<lb/>
phyſiognomiſche Studium nichts mehr als<lb/>
Phantaſeykram und Spielwerk ſey: ſo muͤſ-<lb/>ſen ſie mir doch hinwiederum zugeſtehen<lb/>
daß es das intereſſanteſte und anmuthigſte<lb/>
Spiel ſey, welches der menſchliche Witz ie-<lb/>
mals ausgedacht hat muͤßige Koͤpfe zu be-<lb/>ſchaͤftigen, damit ſie wenigſtens nichts<lb/>
Schlimmers beginnen, ſo lang ſie damit<lb/>ſich zu thun machen. Daher mein ich, hab<lb/>
Meiſter Lichtenberg ſehr uͤbel gethan, daß<lb/>
er dem Publikum das geliebte Spielwerk,<lb/>
wie ein ſtrenger Paͤdagog ſeinen Eleven die<lb/>
Geige, Trommel, oder Pfennigtrompete<lb/>
aus der Hand zu nehmen und zu zertruͤm-<lb/>
mern ſich unterfangen hat, weil die iunge<lb/>
Herrſchaft auf der Gaſſe des Lerms damit<lb/>
zu viel machte. Jn unſerm ſpielenden Zeit-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">alter,</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[120/0120]
werden, daß es damit eine ganz andre Be-
wandniß hat.
Wenn ich nun ſolcher Geſtalt den Anti-
phyſiognoſtikern einraͤumen wollt’, daß das
phyſiognomiſche Studium nichts mehr als
Phantaſeykram und Spielwerk ſey: ſo muͤſ-
ſen ſie mir doch hinwiederum zugeſtehen
daß es das intereſſanteſte und anmuthigſte
Spiel ſey, welches der menſchliche Witz ie-
mals ausgedacht hat muͤßige Koͤpfe zu be-
ſchaͤftigen, damit ſie wenigſtens nichts
Schlimmers beginnen, ſo lang ſie damit
ſich zu thun machen. Daher mein ich, hab
Meiſter Lichtenberg ſehr uͤbel gethan, daß
er dem Publikum das geliebte Spielwerk,
wie ein ſtrenger Paͤdagog ſeinen Eleven die
Geige, Trommel, oder Pfennigtrompete
aus der Hand zu nehmen und zu zertruͤm-
mern ſich unterfangen hat, weil die iunge
Herrſchaft auf der Gaſſe des Lerms damit
zu viel machte. Jn unſerm ſpielenden Zeit-
alter,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 3. Altenburg, 1779, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen03_1779/120>, abgerufen am 24.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.