nigstens so leicht auf den Füßen wie Asahel, hab ihn nicht wieder mit Augen gesehn. Den ganzen Tag thät mir die Gesellschaft des seltsamen Wanderers leid, und wie's zu geschehn pflegt, daß einem immer das vor- schwebt, wornach das Gemüth trachtet, glaubt ich all' Augenblick, in iedem einzel- nen Menschen, den ich in der Fern sah, den Sempronius wieder zu erblicken. Die öf- tern Täuschungen versezten mein Gemüth in üble Laun' und nun begann die Langeweil, die mich seit Jahresfrist nicht angefochten hatte, erbärmlich mit ihrer Schlangengeis- sel mich zu peinigen.
Ein Verdienst, dacht ich, kan doch sicher- lich der Physiognomik nicht abgestritten wer- den, was auch die Afterredner davon sagen mögen, ihren guten Leumund zu vernichten. Kein Mensch kan in Abrede seyn, daß sie dem Geiste eine befriedigende Unterhaltung gewähre, die darum desto interessanter ist,
weil
nigſtens ſo leicht auf den Fuͤßen wie Aſahel, hab ihn nicht wieder mit Augen geſehn. Den ganzen Tag thaͤt mir die Geſellſchaft des ſeltſamen Wanderers leid, und wie’s zu geſchehn pflegt, daß einem immer das vor- ſchwebt, wornach das Gemuͤth trachtet, glaubt ich all’ Augenblick, in iedem einzel- nen Menſchen, den ich in der Fern ſah, den Sempronius wieder zu erblicken. Die oͤf- tern Taͤuſchungen verſezten mein Gemuͤth in uͤble Laun’ und nun begann die Langeweil, die mich ſeit Jahresfriſt nicht angefochten hatte, erbaͤrmlich mit ihrer Schlangengeiſ- ſel mich zu peinigen.
Ein Verdienſt, dacht ich, kan doch ſicher- lich der Phyſiognomik nicht abgeſtritten wer- den, was auch die Afterredner davon ſagen moͤgen, ihren guten Leumund zu vernichten. Kein Menſch kan in Abrede ſeyn, daß ſie dem Geiſte eine befriedigende Unterhaltung gewaͤhre, die darum deſto intereſſanter iſt,
weil
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0116"n="116"/>
nigſtens ſo leicht auf den Fuͤßen wie Aſahel,<lb/>
hab ihn nicht wieder mit Augen geſehn.<lb/>
Den ganzen Tag thaͤt mir die Geſellſchaft<lb/>
des ſeltſamen Wanderers leid, und wie’s zu<lb/>
geſchehn pflegt, daß einem immer das vor-<lb/>ſchwebt, wornach das Gemuͤth trachtet,<lb/>
glaubt ich all’ Augenblick, in iedem einzel-<lb/>
nen Menſchen, den ich in der Fern ſah, den<lb/>
Sempronius wieder zu erblicken. Die oͤf-<lb/>
tern Taͤuſchungen verſezten mein Gemuͤth in<lb/>
uͤble Laun’ und nun begann die Langeweil,<lb/>
die mich ſeit Jahresfriſt nicht angefochten<lb/>
hatte, erbaͤrmlich mit ihrer Schlangengeiſ-<lb/>ſel mich zu peinigen.</p><lb/><p>Ein Verdienſt, dacht ich, kan doch ſicher-<lb/>
lich der Phyſiognomik nicht abgeſtritten wer-<lb/>
den, was auch die Afterredner davon ſagen<lb/>
moͤgen, ihren guten Leumund zu vernichten.<lb/>
Kein Menſch kan in Abrede ſeyn, daß ſie<lb/>
dem Geiſte eine befriedigende Unterhaltung<lb/>
gewaͤhre, die darum deſto intereſſanter iſt,<lb/><fwplace="bottom"type="catch">weil</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[116/0116]
nigſtens ſo leicht auf den Fuͤßen wie Aſahel,
hab ihn nicht wieder mit Augen geſehn.
Den ganzen Tag thaͤt mir die Geſellſchaft
des ſeltſamen Wanderers leid, und wie’s zu
geſchehn pflegt, daß einem immer das vor-
ſchwebt, wornach das Gemuͤth trachtet,
glaubt ich all’ Augenblick, in iedem einzel-
nen Menſchen, den ich in der Fern ſah, den
Sempronius wieder zu erblicken. Die oͤf-
tern Taͤuſchungen verſezten mein Gemuͤth in
uͤble Laun’ und nun begann die Langeweil,
die mich ſeit Jahresfriſt nicht angefochten
hatte, erbaͤrmlich mit ihrer Schlangengeiſ-
ſel mich zu peinigen.
Ein Verdienſt, dacht ich, kan doch ſicher-
lich der Phyſiognomik nicht abgeſtritten wer-
den, was auch die Afterredner davon ſagen
moͤgen, ihren guten Leumund zu vernichten.
Kein Menſch kan in Abrede ſeyn, daß ſie
dem Geiſte eine befriedigende Unterhaltung
gewaͤhre, die darum deſto intereſſanter iſt,
weil
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 3. Altenburg, 1779, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen03_1779/116>, abgerufen am 24.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.