Crösus, dem der Himmel seinen Reichthum recht im Schlaf beschehrt hat, nicht einen Theil dieser zukünftigen Ausbeut' verhypo- theciren wollt', einsweils einen ehrlichen Mann davon zu nähren, der verhungern könnt, eh der Schatz gehoben würd: denn noch zur Zeit liegt er wie Hiobs Schiefer tief in der Erde verborgen. Aber ich weiß, der Besitzer ist ein Menschenfreund, keiner der auf doppelten Ersatz spekulirt; thut was er giebt um Gotteswillen, so bald sich Einer findet der Vorschuß leistet.
"Wohl mein Herr!" sprach der Sem- pronius, schlich sich ein wenig seitab, und ließ mich lang sein harren. Jch pfiff, rief und sucht ihn im Gebüsch, meint' ich würd ihn wohl in der Stellung finden, in welcher Graf Rudolph von Habsburg den Berner Bürger fand -- aber umsonst! Weg war der Schatz! Wenn der Waldbruder nicht den Ring des Gyges besaß, so war er we-
nigstens
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Croͤſus, dem der Himmel ſeinen Reichthum recht im Schlaf beſchehrt hat, nicht einen Theil dieſer zukuͤnftigen Ausbeut’ verhypo- theciren wollt’, einsweils einen ehrlichen Mann davon zu naͤhren, der verhungern koͤnnt, eh der Schatz gehoben wuͤrd: denn noch zur Zeit liegt er wie Hiobs Schiefer tief in der Erde verborgen. Aber ich weiß, der Beſitzer iſt ein Menſchenfreund, keiner der auf doppelten Erſatz ſpekulirt; thut was er giebt um Gotteswillen, ſo bald ſich Einer findet der Vorſchuß leiſtet.
„Wohl mein Herr!“ ſprach der Sem- pronius, ſchlich ſich ein wenig ſeitab, und ließ mich lang ſein harren. Jch pfiff, rief und ſucht ihn im Gebuͤſch, meint’ ich wuͤrd ihn wohl in der Stellung finden, in welcher Graf Rudolph von Habsburg den Berner Buͤrger fand — aber umſonſt! Weg war der Schatz! Wenn der Waldbruder nicht den Ring des Gyges beſaß, ſo war er we-
nigſtens
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Croͤſus, dem der Himmel ſeinen Reichthum
recht im Schlaf beſchehrt hat, nicht einen
Theil dieſer zukuͤnftigen Ausbeut’ verhypo-
theciren wollt’, einsweils einen ehrlichen
Mann davon zu naͤhren, der verhungern
koͤnnt, eh der Schatz gehoben wuͤrd: denn
noch zur Zeit liegt er wie Hiobs Schiefer
tief in der Erde verborgen. Aber ich weiß,
der Beſitzer iſt ein Menſchenfreund, keiner
der auf doppelten Erſatz ſpekulirt; thut was
er giebt um Gotteswillen, ſo bald ſich Einer
findet der Vorſchuß leiſtet.
„Wohl mein Herr!“ ſprach der Sem-
pronius, ſchlich ſich ein wenig ſeitab, und
ließ mich lang ſein harren. Jch pfiff, rief
und ſucht ihn im Gebuͤſch, meint’ ich wuͤrd
ihn wohl in der Stellung finden, in welcher
Graf Rudolph von Habsburg den Berner
Buͤrger fand — aber umſonſt! Weg war
der Schatz! Wenn der Waldbruder nicht
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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 3. Altenburg, 1779, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen03_1779/115>, abgerufen am 24.07.2024.
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