Ergreifens, Ueberschauens: so sieht doch der Dichter beym Schöpfungswerk einer Ode, nach vorausgesezter Uebereinstimmung seiner Gesichtszüge mit den meinigen, nicht anders aus als ich, wenn ich auf meinem Weberstuhl sitze, und das Uebersetzerschiff- lein behend durch den Zettel des Originals laufen lasse, daß mein Tagewerk gefördert werde. Da haben wir beyde das Ansehen denkender Köpfe, die einer Sache nach- sinnen; und mehr vermag kein menschlich Auge, mit oder ohne Adlerblick, das unsre Relationen nicht anderweit kennt, mit Zu- verläßigkeit zu entdecken. Ausserdem aber, noch dazu im Ruhepunkte betrachtet, wenn der Dichter auf der Post fährt, oder auf Schlittschuhen; am Bostonianischen Frey- heitsstabe lustwandelt, oder ein Pferd tum- melt, wo soll da sein poetischer Geist her- vorleuchten, daß jemand sagen könne: die- ser Fußgänger, oder dieser Reuter ist ein
Dich-
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Ergreifens, Ueberſchauens: ſo ſieht doch der Dichter beym Schoͤpfungswerk einer Ode, nach vorausgeſezter Uebereinſtimmung ſeiner Geſichtszuͤge mit den meinigen, nicht anders aus als ich, wenn ich auf meinem Weberſtuhl ſitze, und das Ueberſetzerſchiff- lein behend durch den Zettel des Originals laufen laſſe, daß mein Tagewerk gefoͤrdert werde. Da haben wir beyde das Anſehen denkender Koͤpfe, die einer Sache nach- ſinnen; und mehr vermag kein menſchlich Auge, mit oder ohne Adlerblick, das unſre Relationen nicht anderweit kennt, mit Zu- verlaͤßigkeit zu entdecken. Auſſerdem aber, noch dazu im Ruhepunkte betrachtet, wenn der Dichter auf der Poſt faͤhrt, oder auf Schlittſchuhen; am Boſtonianiſchen Frey- heitsſtabe luſtwandelt, oder ein Pferd tum- melt, wo ſoll da ſein poetiſcher Geiſt her- vorleuchten, daß jemand ſagen koͤnne: die- ſer Fußgaͤnger, oder dieſer Reuter iſt ein
Dich-
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Ergreifens, Ueberſchauens: ſo ſieht doch
der Dichter beym Schoͤpfungswerk einer
Ode, nach vorausgeſezter Uebereinſtimmung
ſeiner Geſichtszuͤge mit den meinigen, nicht
anders aus als ich, wenn ich auf meinem
Weberſtuhl ſitze, und das Ueberſetzerſchiff-
lein behend durch den Zettel des Originals
laufen laſſe, daß mein Tagewerk gefoͤrdert
werde. Da haben wir beyde das Anſehen
denkender Koͤpfe, die einer Sache nach-
ſinnen; und mehr vermag kein menſchlich
Auge, mit oder ohne Adlerblick, das unſre
Relationen nicht anderweit kennt, mit Zu-
verlaͤßigkeit zu entdecken. Auſſerdem aber,
noch dazu im Ruhepunkte betrachtet, wenn
der Dichter auf der Poſt faͤhrt, oder auf
Schlittſchuhen; am Boſtonianiſchen Frey-
heitsſtabe luſtwandelt, oder ein Pferd tum-
melt, wo ſoll da ſein poetiſcher Geiſt her-
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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778/69>, abgerufen am 23.07.2024.
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