Jndem ich so spekulirt, hatte der Unbe- kannte ausgeschmaucht, klopfte bedachtsam die Pfeife aus, sucht einen ledigen Stuhl und pflanzt sich ganz gravitätisch gegen mir über an meinen Tisch, recht wie ichs wünschte. Jch säumt nicht lange, mit ihm eine Un- terredung anzuspinnen, und wir katechisir- ten einander drauf folgendermaßen.
Mit Erlaubniß mein Herr, daß ich fra- gen mag, sind Sie ein Dichter?
"Ja und nein mein Herr, wie Sie wollen."
Wie ist das gemeint?
"Ehedem wie die Gelegenheitsgedichte noch Abnehmer fanden, verlieh ich meine Muse wie ein Miethpferd. Alle Kunden, die der selge Gellert von sich wieß, pflegt' ich zu bedienen, und nutzte dies Gewerbe als eine Leibrente; nun diese kaduck gegan-
gen
und in keinem Thor ihren rechten Na- men ſagen.
Jndem ich ſo ſpekulirt, hatte der Unbe- kannte ausgeſchmaucht, klopfte bedachtſam die Pfeife aus, ſucht einen ledigen Stuhl und pflanzt ſich ganz gravitaͤtiſch gegen mir uͤber an meinen Tiſch, recht wie ichs wuͤnſchte. Jch ſaͤumt nicht lange, mit ihm eine Un- terredung anzuſpinnen, und wir katechiſir- ten einander drauf folgendermaßen.
Mit Erlaubniß mein Herr, daß ich fra- gen mag, ſind Sie ein Dichter?
„Ja und nein mein Herr, wie Sie wollen.„
Wie iſt das gemeint?
„Ehedem wie die Gelegenheitsgedichte noch Abnehmer fanden, verlieh ich meine Muſe wie ein Miethpferd. Alle Kunden, die der ſelge Gellert von ſich wieß, pflegt’ ich zu bedienen, und nutzte dies Gewerbe als eine Leibrente; nun dieſe kaduck gegan-
gen
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und in keinem Thor ihren rechten Na-
men ſagen.
Jndem ich ſo ſpekulirt, hatte der Unbe-
kannte ausgeſchmaucht, klopfte bedachtſam
die Pfeife aus, ſucht einen ledigen Stuhl
und pflanzt ſich ganz gravitaͤtiſch gegen mir
uͤber an meinen Tiſch, recht wie ichs wuͤnſchte.
Jch ſaͤumt nicht lange, mit ihm eine Un-
terredung anzuſpinnen, und wir katechiſir-
ten einander drauf folgendermaßen.
Mit Erlaubniß mein Herr, daß ich fra-
gen mag, ſind Sie ein Dichter?
„Ja und nein mein Herr, wie Sie
wollen.„
Wie iſt das gemeint?
„Ehedem wie die Gelegenheitsgedichte
noch Abnehmer fanden, verlieh ich meine
Muſe wie ein Miethpferd. Alle Kunden,
die der ſelge Gellert von ſich wieß, pflegt’
ich zu bedienen, und nutzte dies Gewerbe
als eine Leibrente; nun dieſe kaduck gegan-
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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778/60>, abgerufen am 16.02.2025.
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