Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

nen großen Meister, und fing an mit dum-
mer Geschwätzigkeit, ohne mich zum Wort
kommen zu lassen, mir alle Taschenspieler-
Stück' des Juden, wovon vor kurzem mäch-
tig viel gewindbeutelt wurde, zu beschrei-
ben; machte dazu so viel Gestickulationen,
und flankirt' mir mit dem Scheermesser vor
dem Gesicht herum, daß mir für meine
Gurgel so bang ward, als weiland dem
König Georg Bodiebrad für die seine, da
ihn der Bartscheerer frug, in wes Händen
jetzt das Königreich Böhmen sey? Aus
Menschenliebe wollt' ich den Dummkopf zu-
recht weisen; aber er blieb hartnäckig auf
seinen Sinn, und behauptet, beyde Künste
wären im Grund' eins, denn ihr Wesen be-
steh in Täuschung der Sinnen, ob sie wohl
in der Form von einander abweichen möch-
ten, das hab ihm ein großer Gelehrter,
der sein Bartkunde sey, erst vor ein paar
Tagen demonstrirt. Jch zahlt ihm die

Ge-

nen großen Meiſter, und fing an mit dum-
mer Geſchwaͤtzigkeit, ohne mich zum Wort
kommen zu laſſen, mir alle Taſchenſpieler-
Stuͤck’ des Juden, wovon vor kurzem maͤch-
tig viel gewindbeutelt wurde, zu beſchrei-
ben; machte dazu ſo viel Geſtickulationen,
und flankirt’ mir mit dem Scheermeſſer vor
dem Geſicht herum, daß mir fuͤr meine
Gurgel ſo bang ward, als weiland dem
Koͤnig Georg Bodiebrad fuͤr die ſeine, da
ihn der Bartſcheerer frug, in wes Haͤnden
jetzt das Koͤnigreich Boͤhmen ſey? Aus
Menſchenliebe wollt’ ich den Dummkopf zu-
recht weiſen; aber er blieb hartnaͤckig auf
ſeinen Sinn, und behauptet, beyde Kuͤnſte
waͤren im Grund’ eins, denn ihr Weſen be-
ſteh in Taͤuſchung der Sinnen, ob ſie wohl
in der Form von einander abweichen moͤch-
ten, das hab ihm ein großer Gelehrter,
der ſein Bartkunde ſey, erſt vor ein paar
Tagen demonſtrirt. Jch zahlt ihm die

Ge-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0030" n="30"/>
nen großen Mei&#x017F;ter, und fing an mit dum-<lb/>
mer Ge&#x017F;chwa&#x0364;tzigkeit, ohne mich zum Wort<lb/>
kommen zu la&#x017F;&#x017F;en, mir alle Ta&#x017F;chen&#x017F;pieler-<lb/>
Stu&#x0364;ck&#x2019; des Juden, wovon vor kurzem ma&#x0364;ch-<lb/>
tig viel gewindbeutelt wurde, zu be&#x017F;chrei-<lb/>
ben; machte dazu &#x017F;o viel Ge&#x017F;tickulationen,<lb/>
und flankirt&#x2019; mir mit dem Scheerme&#x017F;&#x017F;er vor<lb/>
dem Ge&#x017F;icht herum, daß mir fu&#x0364;r meine<lb/>
Gurgel &#x017F;o bang ward, als weiland dem<lb/>
Ko&#x0364;nig Georg Bodiebrad fu&#x0364;r die &#x017F;eine, da<lb/>
ihn der Bart&#x017F;cheerer frug, in wes Ha&#x0364;nden<lb/>
jetzt das Ko&#x0364;nigreich Bo&#x0364;hmen &#x017F;ey? Aus<lb/>
Men&#x017F;chenliebe wollt&#x2019; ich den Dummkopf zu-<lb/>
recht wei&#x017F;en; aber er blieb hartna&#x0364;ckig auf<lb/>
&#x017F;einen Sinn, und behauptet, beyde Ku&#x0364;n&#x017F;te<lb/>
wa&#x0364;ren im Grund&#x2019; eins, denn ihr We&#x017F;en be-<lb/>
&#x017F;teh in Ta&#x0364;u&#x017F;chung der Sinnen, ob &#x017F;ie wohl<lb/>
in der Form von einander abweichen mo&#x0364;ch-<lb/>
ten, das hab ihm ein großer Gelehrter,<lb/>
der &#x017F;ein Bartkunde &#x017F;ey, er&#x017F;t vor ein paar<lb/>
Tagen demon&#x017F;trirt. Jch zahlt ihm die<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Ge-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[30/0030] nen großen Meiſter, und fing an mit dum- mer Geſchwaͤtzigkeit, ohne mich zum Wort kommen zu laſſen, mir alle Taſchenſpieler- Stuͤck’ des Juden, wovon vor kurzem maͤch- tig viel gewindbeutelt wurde, zu beſchrei- ben; machte dazu ſo viel Geſtickulationen, und flankirt’ mir mit dem Scheermeſſer vor dem Geſicht herum, daß mir fuͤr meine Gurgel ſo bang ward, als weiland dem Koͤnig Georg Bodiebrad fuͤr die ſeine, da ihn der Bartſcheerer frug, in wes Haͤnden jetzt das Koͤnigreich Boͤhmen ſey? Aus Menſchenliebe wollt’ ich den Dummkopf zu- recht weiſen; aber er blieb hartnaͤckig auf ſeinen Sinn, und behauptet, beyde Kuͤnſte waͤren im Grund’ eins, denn ihr Weſen be- ſteh in Taͤuſchung der Sinnen, ob ſie wohl in der Form von einander abweichen moͤch- ten, das hab ihm ein großer Gelehrter, der ſein Bartkunde ſey, erſt vor ein paar Tagen demonſtrirt. Jch zahlt ihm die Ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778/30
Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778/30>, abgerufen am 21.11.2024.