theilt seine Gaben freygebig jeder Physiogno- mie mit, der nicht der Stempel der Dumm- heit, der Narrheit, oder der Bosheit offen- bar aufgedruckt ist."
Ein Wort mit Gunst! Nun begreif ich, warums Winkelmann seinem Mörder nicht ansah, der doch Physiognom war in einem hohen Grad, und warum der bekannte Kreuzträger Paul Beck, seelgen Andenkens, der nicht weniger Physiognom war als Win- kelmann, der schwärzesten Verrätherey und Treulosigkeit die betrügliche Larve der Freund- schaft nicht vom Gesicht riß: jener hatte zuviel Archäologie, dieser zu viel Bonhom- mie im Sinn, darum deutet' der erste den gierigen Räuberblick seines Mörders auf eitel Gemmenliebhaberey, als er ihm seine Pretiosen zeigte; und der ander' den fal- schen Judasblick seiner Verfolger, auf eitel Biedertreu und Aufrichtigkeit, welches Trugurtheil beyde hernach, dieser mit Glück
und
theilt ſeine Gaben freygebig jeder Phyſiogno- mie mit, der nicht der Stempel der Dumm- heit, der Narrheit, oder der Bosheit offen- bar aufgedruckt iſt.„
Ein Wort mit Gunſt! Nun begreif ich, warums Winkelmann ſeinem Moͤrder nicht anſah, der doch Phyſiognom war in einem hohen Grad, und warum der bekannte Kreuztraͤger Paul Beck, ſeelgen Andenkens, der nicht weniger Phyſiognom war als Win- kelmann, der ſchwaͤrzeſten Verraͤtherey und Treuloſigkeit die betruͤgliche Larve der Freund- ſchaft nicht vom Geſicht riß: jener hatte zuviel Archaͤologie, dieſer zu viel Bonhom- mie im Sinn, darum deutet’ der erſte den gierigen Raͤuberblick ſeines Moͤrders auf eitel Gemmenliebhaberey, als er ihm ſeine Pretioſen zeigte; und der ander’ den fal- ſchen Judasblick ſeiner Verfolger, auf eitel Biedertreu und Aufrichtigkeit, welches Trugurtheil beyde hernach, dieſer mit Gluͤck
und
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[210/0210]
theilt ſeine Gaben freygebig jeder Phyſiogno-
mie mit, der nicht der Stempel der Dumm-
heit, der Narrheit, oder der Bosheit offen-
bar aufgedruckt iſt.„
Ein Wort mit Gunſt! Nun begreif ich,
warums Winkelmann ſeinem Moͤrder nicht
anſah, der doch Phyſiognom war in einem
hohen Grad, und warum der bekannte
Kreuztraͤger Paul Beck, ſeelgen Andenkens,
der nicht weniger Phyſiognom war als Win-
kelmann, der ſchwaͤrzeſten Verraͤtherey und
Treuloſigkeit die betruͤgliche Larve der Freund-
ſchaft nicht vom Geſicht riß: jener hatte
zuviel Archaͤologie, dieſer zu viel Bonhom-
mie im Sinn, darum deutet’ der erſte den
gierigen Raͤuberblick ſeines Moͤrders auf
eitel Gemmenliebhaberey, als er ihm ſeine
Pretioſen zeigte; und der ander’ den fal-
ſchen Judasblick ſeiner Verfolger, auf eitel
Biedertreu und Aufrichtigkeit, welches
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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778/210>, abgerufen am 16.02.2025.
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