poetischer Enthusiasmus heißt beym Franz- mann auch Reverie, und davon sag ich, daß sie ein Geschenk des Himmel sey, we- gen des Wonnegefühls, womit sie das Herz erfüllt. Drum ist der Enthusiasmus für die feinen Wollüstlinge unsrer Zeit, die ihre innre Sinnlichkeit so gern mit Empfindsam- keit kützeln, ein so gangbarer Artickel; er- hitzen die Empfindler ihr Blut durch aethe- rische Verliebtheit in jedes Ding das ihnen vorkommt, wärmt sie der Mondschein so gut wie die Feuergluth eines Töpferofens, und ihre süße Schwärmerey findet im Veil- gen auf der Wiese so viel Nahrung, als in der Sternensaat des nächtlichen Himmels.
Von allen Gefühlen aber ist für eine reizbare Seele keins süßer als Schmerzens- empfänglichkeit. Wenn einer ganz in sich verschlossen, in einem melancholischen Hayn, bey einer schauervollen Grabstätt', oder am Fuß' einer schroffen Felsenwand, zerschellte
Hoff-
B
poetiſcher Enthuſiaſmus heißt beym Franz- mann auch Réverie, und davon ſag ich, daß ſie ein Geſchenk des Himmel ſey, we- gen des Wonnegefuͤhls, womit ſie das Herz erfuͤllt. Drum iſt der Enthuſiaſmus fuͤr die feinen Wolluͤſtlinge unſrer Zeit, die ihre innre Sinnlichkeit ſo gern mit Empfindſam- keit kuͤtzeln, ein ſo gangbarer Artickel; er- hitzen die Empfindler ihr Blut durch aethe- riſche Verliebtheit in jedes Ding das ihnen vorkommt, waͤrmt ſie der Mondſchein ſo gut wie die Feuergluth eines Toͤpferofens, und ihre ſuͤße Schwaͤrmerey findet im Veil- gen auf der Wieſe ſo viel Nahrung, als in der Sternenſaat des naͤchtlichen Himmels.
Von allen Gefuͤhlen aber iſt fuͤr eine reizbare Seele keins ſuͤßer als Schmerzens- empfaͤnglichkeit. Wenn einer ganz in ſich verſchloſſen, in einem melancholiſchen Hayn, bey einer ſchauervollen Grabſtaͤtt’, oder am Fuß’ einer ſchroffen Felſenwand, zerſchellte
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poetiſcher Enthuſiaſmus heißt beym Franz-
mann auch Réverie, und davon ſag ich,
daß ſie ein Geſchenk des Himmel ſey, we-
gen des Wonnegefuͤhls, womit ſie das Herz
erfuͤllt. Drum iſt der Enthuſiaſmus fuͤr
die feinen Wolluͤſtlinge unſrer Zeit, die ihre
innre Sinnlichkeit ſo gern mit Empfindſam-
keit kuͤtzeln, ein ſo gangbarer Artickel; er-
hitzen die Empfindler ihr Blut durch aethe-
riſche Verliebtheit in jedes Ding das ihnen
vorkommt, waͤrmt ſie der Mondſchein ſo
gut wie die Feuergluth eines Toͤpferofens,
und ihre ſuͤße Schwaͤrmerey findet im Veil-
gen auf der Wieſe ſo viel Nahrung, als
in der Sternenſaat des naͤchtlichen Himmels.
Von allen Gefuͤhlen aber iſt fuͤr eine
reizbare Seele keins ſuͤßer als Schmerzens-
empfaͤnglichkeit. Wenn einer ganz in ſich
verſchloſſen, in einem melancholiſchen Hayn,
bey einer ſchauervollen Grabſtaͤtt’, oder am
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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778/17>, abgerufen am 16.07.2024.
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