nem einsamen und verwilderten Pläzgen. Der zeitige Dechent zu Pondorf hat seine Wunderstimm' nicht zuerst auf ofnen Kreuz- wegen und innerhalb der Ringmauern gros- ser Städt' erschallen lassen, sondern hat aus einem abgelegnen Winkel hervor sein Spiel getrieben, wie ein Kobolt, der die Leut' vorerst zur Nachtzeit bey einer Kirchhof- mauer, oder bey einer zerfallnen Grabstätt' mit Kalch und Steinen äft, biß er sich bey Weibern und Knaben in Respekt gesetzt, und hernach erkühnt, sie am hellen Mittag am Kleid, oder gar bey der Nase zu zupfen.
Mögen der Beyspiel' vor der Hand gnug seyn zu beweisen, daß das Jmaginations- wesen in Gegenden, wo die Arnica wächst, überaus wohl bekomm; in weiten Sand- ebenen hingegen, wo die märkischen Rüben gutthun, durchaus nicht bewurzeln kann. Doch wie ieder Boden das Wachsthum ge- wisser Pflanzen begünstigt: so sind schlich-
ter
nem einſamen und verwilderten Plaͤzgen. Der zeitige Dechent zu Pondorf hat ſeine Wunderſtimm’ nicht zuerſt auf ofnen Kreuz- wegen und innerhalb der Ringmauern groſ- ſer Staͤdt’ erſchallen laſſen, ſondern hat aus einem abgelegnen Winkel hervor ſein Spiel getrieben, wie ein Kobolt, der die Leut’ vorerſt zur Nachtzeit bey einer Kirchhof- mauer, oder bey einer zerfallnen Grabſtaͤtt’ mit Kalch und Steinen aͤft, biß er ſich bey Weibern und Knaben in Reſpekt geſetzt, und hernach erkuͤhnt, ſie am hellen Mittag am Kleid, oder gar bey der Naſe zu zupfen.
Moͤgen der Beyſpiel’ vor der Hand gnug ſeyn zu beweiſen, daß das Jmaginations- weſen in Gegenden, wo die Arnica waͤchſt, uͤberaus wohl bekomm; in weiten Sand- ebenen hingegen, wo die maͤrkiſchen Ruͤben gutthun, durchaus nicht bewurzeln kann. Doch wie ieder Boden das Wachsthum ge- wiſſer Pflanzen beguͤnſtigt: ſo ſind ſchlich-
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nem einſamen und verwilderten Plaͤzgen.
Der zeitige Dechent zu Pondorf hat ſeine
Wunderſtimm’ nicht zuerſt auf ofnen Kreuz-
wegen und innerhalb der Ringmauern groſ-
ſer Staͤdt’ erſchallen laſſen, ſondern hat aus
einem abgelegnen Winkel hervor ſein Spiel
getrieben, wie ein Kobolt, der die Leut’
vorerſt zur Nachtzeit bey einer Kirchhof-
mauer, oder bey einer zerfallnen Grabſtaͤtt’
mit Kalch und Steinen aͤft, biß er ſich bey
Weibern und Knaben in Reſpekt geſetzt, und
hernach erkuͤhnt, ſie am hellen Mittag am
Kleid, oder gar bey der Naſe zu zupfen.
Moͤgen der Beyſpiel’ vor der Hand gnug
ſeyn zu beweiſen, daß das Jmaginations-
weſen in Gegenden, wo die Arnica waͤchſt,
uͤberaus wohl bekomm; in weiten Sand-
ebenen hingegen, wo die maͤrkiſchen Ruͤben
gutthun, durchaus nicht bewurzeln kann.
Doch wie ieder Boden das Wachsthum ge-
wiſſer Pflanzen beguͤnſtigt: ſo ſind ſchlich-
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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778/156>, abgerufen am 16.02.2025.
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