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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778.

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verbröckeln oder zu verhunzen. Hätt' nur
gewünscht, von der öffentlichen Kanzel her-
ab vor der ganzen Gemeinde, den wild-
fremden Mann physiognomisirt zu haben,
damit Klein und Groß von der Gewißheit
der Kunst überzeugt worden wär. Denn
das hemmt eben den Fortgang der guten
Sache, daß die Physiognomen gemeiniglich
die richtigen Urtheile in ihres Herzensschrein
verschließen und kein groß Geschrey davon
machen; aber wenn ihnen einmal was
menschliches begegnet, daß sie einen Buch-
staben übersehen oder falsch aussprechen, er-
heben die Gegner groß Geschrey, meynen,
jeder Physiognom sey ein A B C schütz, und
sitz keiner auf der Lesebank. Welches tolle
Geschwätz mich allzeit in der Seel ärgert;
denn ich vertrau der Kunst, besonders wenn
ich einen Treffer gezogen hab', eben so sehr
als Dr. Hill den Kräften der Salbey, zur
Verlängerung des menschlichen Lebens, oder

Dr.
K 2

verbroͤckeln oder zu verhunzen. Haͤtt’ nur
gewuͤnſcht, von der oͤffentlichen Kanzel her-
ab vor der ganzen Gemeinde, den wild-
fremden Mann phyſiognomiſirt zu haben,
damit Klein und Groß von der Gewißheit
der Kunſt uͤberzeugt worden waͤr. Denn
das hemmt eben den Fortgang der guten
Sache, daß die Phyſiognomen gemeiniglich
die richtigen Urtheile in ihres Herzensſchrein
verſchließen und kein groß Geſchrey davon
machen; aber wenn ihnen einmal was
menſchliches begegnet, daß ſie einen Buch-
ſtaben uͤberſehen oder falſch ausſprechen, er-
heben die Gegner groß Geſchrey, meynen,
jeder Phyſiognom ſey ein A B C ſchuͤtz, und
ſitz keiner auf der Leſebank. Welches tolle
Geſchwaͤtz mich allzeit in der Seel aͤrgert;
denn ich vertrau der Kunſt, beſonders wenn
ich einen Treffer gezogen hab’, eben ſo ſehr
als Dr. Hill den Kraͤften der Salbey, zur
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Dr.
K 2
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[147/0147] verbroͤckeln oder zu verhunzen. Haͤtt’ nur gewuͤnſcht, von der oͤffentlichen Kanzel her- ab vor der ganzen Gemeinde, den wild- fremden Mann phyſiognomiſirt zu haben, damit Klein und Groß von der Gewißheit der Kunſt uͤberzeugt worden waͤr. Denn das hemmt eben den Fortgang der guten Sache, daß die Phyſiognomen gemeiniglich die richtigen Urtheile in ihres Herzensſchrein verſchließen und kein groß Geſchrey davon machen; aber wenn ihnen einmal was menſchliches begegnet, daß ſie einen Buch- ſtaben uͤberſehen oder falſch ausſprechen, er- heben die Gegner groß Geſchrey, meynen, jeder Phyſiognom ſey ein A B C ſchuͤtz, und ſitz keiner auf der Leſebank. Welches tolle Geſchwaͤtz mich allzeit in der Seel aͤrgert; denn ich vertrau der Kunſt, beſonders wenn ich einen Treffer gezogen hab’, eben ſo ſehr als Dr. Hill den Kraͤften der Salbey, zur Verlaͤngerung des menſchlichen Lebens, oder Dr. K 2

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Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778/147>, abgerufen am 22.11.2024.