wer weis! allein bald nachher widerlegte ein Ausdruck ihres Briefes, der mir zu un- gelegner Zeit wieder beyfiel, wo die Sophie von einer unwiderstehlichen Leidenschaft spricht, dadurch sie unglücklich worden sey, diesen ganzen schönen Traum.
Mit einer dritten Fiktion wollte mirs gar nicht gelingen: sann hin und her, eine Möglichkeit auszufinden, wie der mißlau- tende Umstand, den die Dirn' zur Ursach ihrer Flucht angegeben, der zarten Empfin- dung für Ehr' und Tugend unbeschadet, von ihr könn erdichtet seyn, um vielleicht meine Liebe, zu der sie wegen Unterschied des Standes kein recht Vertrauen hegt', dadurch auf die Probe zu stellen, und wenn sie ver- merken sollt', daß diese ungünstigen Adspek- ten meine Zuneigung zu ihr nicht auszulö- schen vermöchten, alsdenn den Geist der Täuschung wieder verschwinden zu lassen. Aber da zupft' mich die Vernunft derb beym
Ohr,
wer weis! allein bald nachher widerlegte ein Ausdruck ihres Briefes, der mir zu un- gelegner Zeit wieder beyfiel, wo die Sophie von einer unwiderſtehlichen Leidenſchaft ſpricht, dadurch ſie ungluͤcklich worden ſey, dieſen ganzen ſchoͤnen Traum.
Mit einer dritten Fiktion wollte mirs gar nicht gelingen: ſann hin und her, eine Moͤglichkeit auszufinden, wie der mißlau- tende Umſtand, den die Dirn’ zur Urſach ihrer Flucht angegeben, der zarten Empfin- dung fuͤr Ehr’ und Tugend unbeſchadet, von ihr koͤnn erdichtet ſeyn, um vielleicht meine Liebe, zu der ſie wegen Unterſchied des Standes kein recht Vertrauen hegt’, dadurch auf die Probe zu ſtellen, und wenn ſie ver- merken ſollt’, daß dieſe unguͤnſtigen Adſpek- ten meine Zuneigung zu ihr nicht auszuloͤ- ſchen vermoͤchten, alsdenn den Geiſt der Taͤuſchung wieder verſchwinden zu laſſen. Aber da zupft’ mich die Vernunft derb beym
Ohr,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0014"n="14"/>
wer weis! allein bald nachher widerlegte<lb/>
ein Ausdruck ihres Briefes, der mir zu un-<lb/>
gelegner Zeit wieder beyfiel, wo die Sophie<lb/>
von einer unwiderſtehlichen Leidenſchaft<lb/>ſpricht, dadurch ſie ungluͤcklich worden ſey,<lb/>
dieſen ganzen ſchoͤnen Traum.</p><lb/><p>Mit einer dritten Fiktion wollte mirs<lb/>
gar nicht gelingen: ſann hin und her, eine<lb/>
Moͤglichkeit auszufinden, wie der mißlau-<lb/>
tende Umſtand, den die Dirn’ zur Urſach<lb/>
ihrer Flucht angegeben, der zarten Empfin-<lb/>
dung fuͤr Ehr’ und Tugend unbeſchadet, von<lb/>
ihr koͤnn erdichtet ſeyn, um vielleicht meine<lb/>
Liebe, zu der ſie wegen Unterſchied des<lb/>
Standes kein recht Vertrauen hegt’, dadurch<lb/>
auf die Probe zu ſtellen, und wenn ſie ver-<lb/>
merken ſollt’, daß dieſe unguͤnſtigen Adſpek-<lb/>
ten meine Zuneigung zu ihr nicht auszuloͤ-<lb/>ſchen vermoͤchten, alsdenn den Geiſt der<lb/>
Taͤuſchung wieder verſchwinden zu laſſen.<lb/>
Aber da zupft’ mich die Vernunft derb beym<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Ohr,</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[14/0014]
wer weis! allein bald nachher widerlegte
ein Ausdruck ihres Briefes, der mir zu un-
gelegner Zeit wieder beyfiel, wo die Sophie
von einer unwiderſtehlichen Leidenſchaft
ſpricht, dadurch ſie ungluͤcklich worden ſey,
dieſen ganzen ſchoͤnen Traum.
Mit einer dritten Fiktion wollte mirs
gar nicht gelingen: ſann hin und her, eine
Moͤglichkeit auszufinden, wie der mißlau-
tende Umſtand, den die Dirn’ zur Urſach
ihrer Flucht angegeben, der zarten Empfin-
dung fuͤr Ehr’ und Tugend unbeſchadet, von
ihr koͤnn erdichtet ſeyn, um vielleicht meine
Liebe, zu der ſie wegen Unterſchied des
Standes kein recht Vertrauen hegt’, dadurch
auf die Probe zu ſtellen, und wenn ſie ver-
merken ſollt’, daß dieſe unguͤnſtigen Adſpek-
ten meine Zuneigung zu ihr nicht auszuloͤ-
ſchen vermoͤchten, alsdenn den Geiſt der
Taͤuſchung wieder verſchwinden zu laſſen.
Aber da zupft’ mich die Vernunft derb beym
Ohr,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778/14>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.