Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

Mehrheit der Stimmen, die Meinung des
Arztes ohne Widerrede durchgieng. Nun
sind meine Cutsunterthanen, den Markus
abgerechnet, der kein Eingebohrner ist, ehr-
liche unbeschotene Männer, in der Gemein-
de; denn daß der Müller im Gered' ist,
er partuckele zuweilen mit dem Mehl, und
daß vom Altarmann einmal gemurmelt
wurde, er habe einen Diebsgriff in den
Klingelsack gethan, das ist keinem erwiesen;
ich lasse mir auch ganz gern gefallen daß
meine Physiognomie mit den Gesichtszügen
eines andern ehrlichen Mannes übereintrift,
er sey wer er wolle: aber sonderbar dünkte
michs doch immer, daß meine Bauern ih-
rem Gutsherrn gleichen sollen, als ein Ey
dem andern. Jch machte mich also drüber
und verglich die Schattenköpfe nochmals;
je länger ich sie aber betrachtete, desto mehr
überzeugte mich der Augenschein, daß Dr.
Baldrian richtig geurtheilt hatte, ob ich
gleich den zureichenden Grund davon nicht
finden konnte. Weil aber in dem lezten
Jahrzehend gar viele Dinge ohne zureichen-
den Grund geschehen sind, nachdem Wolf
mit seiner Lehre pro emerito ist erkläret
worden, mocht ich weiter nicht nachgrübeln,

und
F 5

Mehrheit der Stimmen, die Meinung des
Arztes ohne Widerrede durchgieng. Nun
ſind meine Cutsunterthanen, den Markus
abgerechnet, der kein Eingebohrner iſt, ehr-
liche unbeſchotene Maͤnner, in der Gemein-
de; denn daß der Muͤller im Gered’ iſt,
er partuckele zuweilen mit dem Mehl, und
daß vom Altarmann einmal gemurmelt
wurde, er habe einen Diebsgriff in den
Klingelſack gethan, das iſt keinem erwieſen;
ich laſſe mir auch ganz gern gefallen daß
meine Phyſiognomie mit den Geſichtszuͤgen
eines andern ehrlichen Mannes uͤbereintrift,
er ſey wer er wolle: aber ſonderbar duͤnkte
michs doch immer, daß meine Bauern ih-
rem Gutsherrn gleichen ſollen, als ein Ey
dem andern. Jch machte mich alſo druͤber
und verglich die Schattenkoͤpfe nochmals;
je laͤnger ich ſie aber betrachtete, deſto mehr
uͤberzeugte mich der Augenſchein, daß Dr.
Baldrian richtig geurtheilt hatte, ob ich
gleich den zureichenden Grund davon nicht
finden konnte. Weil aber in dem lezten
Jahrzehend gar viele Dinge ohne zureichen-
den Grund geſchehen ſind, nachdem Wolf
mit ſeiner Lehre pro emerito iſt erklaͤret
worden, mocht ich weiter nicht nachgruͤbeln,

und
F 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0095" n="89"/>
Mehrheit der Stimmen, die Meinung des<lb/>
Arztes ohne Widerrede durchgieng. Nun<lb/>
&#x017F;ind meine Cutsunterthanen, den Markus<lb/>
abgerechnet, der kein Eingebohrner i&#x017F;t, ehr-<lb/>
liche unbe&#x017F;chotene Ma&#x0364;nner, in der Gemein-<lb/>
de; denn daß der Mu&#x0364;ller im Gered&#x2019; i&#x017F;t,<lb/>
er partuckele zuweilen mit dem Mehl, und<lb/>
daß vom Altarmann einmal gemurmelt<lb/>
wurde, er habe einen Diebsgriff in den<lb/>
Klingel&#x017F;ack gethan, das i&#x017F;t keinem erwie&#x017F;en;<lb/>
ich la&#x017F;&#x017F;e mir auch ganz gern gefallen daß<lb/>
meine Phy&#x017F;iognomie mit den Ge&#x017F;ichtszu&#x0364;gen<lb/>
eines andern ehrlichen Mannes u&#x0364;bereintrift,<lb/>
er &#x017F;ey wer er wolle: aber &#x017F;onderbar du&#x0364;nkte<lb/>
michs doch immer, daß meine Bauern ih-<lb/>
rem Gutsherrn gleichen &#x017F;ollen, als ein Ey<lb/>
dem andern. Jch machte mich al&#x017F;o dru&#x0364;ber<lb/>
und verglich die Schattenko&#x0364;pfe nochmals;<lb/>
je la&#x0364;nger ich &#x017F;ie aber betrachtete, de&#x017F;to mehr<lb/>
u&#x0364;berzeugte mich der Augen&#x017F;chein, daß Dr.<lb/>
Baldrian richtig geurtheilt hatte, ob ich<lb/>
gleich den zureichenden Grund davon nicht<lb/>
finden konnte. Weil aber in dem lezten<lb/>
Jahrzehend gar viele Dinge ohne zureichen-<lb/>
den Grund ge&#x017F;chehen &#x017F;ind, nachdem Wolf<lb/>
mit &#x017F;einer Lehre <hi rendition="#aq">pro emerito</hi> i&#x017F;t erkla&#x0364;ret<lb/>
worden, mocht ich weiter nicht nachgru&#x0364;beln,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">F 5</fw><fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[89/0095] Mehrheit der Stimmen, die Meinung des Arztes ohne Widerrede durchgieng. Nun ſind meine Cutsunterthanen, den Markus abgerechnet, der kein Eingebohrner iſt, ehr- liche unbeſchotene Maͤnner, in der Gemein- de; denn daß der Muͤller im Gered’ iſt, er partuckele zuweilen mit dem Mehl, und daß vom Altarmann einmal gemurmelt wurde, er habe einen Diebsgriff in den Klingelſack gethan, das iſt keinem erwieſen; ich laſſe mir auch ganz gern gefallen daß meine Phyſiognomie mit den Geſichtszuͤgen eines andern ehrlichen Mannes uͤbereintrift, er ſey wer er wolle: aber ſonderbar duͤnkte michs doch immer, daß meine Bauern ih- rem Gutsherrn gleichen ſollen, als ein Ey dem andern. Jch machte mich alſo druͤber und verglich die Schattenkoͤpfe nochmals; je laͤnger ich ſie aber betrachtete, deſto mehr uͤberzeugte mich der Augenſchein, daß Dr. Baldrian richtig geurtheilt hatte, ob ich gleich den zureichenden Grund davon nicht finden konnte. Weil aber in dem lezten Jahrzehend gar viele Dinge ohne zureichen- den Grund geſchehen ſind, nachdem Wolf mit ſeiner Lehre pro emerito iſt erklaͤret worden, mocht ich weiter nicht nachgruͤbeln, und F 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/95
Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/95>, abgerufen am 22.11.2024.