Doktor Baldrian, der als Auskultant der Versammlung beywohnte, ein kalter Spöt- ter und Starrkopf, der sich nichts eindispu- tiren läßt und andern alles abdisputiren will, dabey weder an die symbolischen Bü- cher noch an das acidum pingue glaubt, und während der akademischen Session ver- schiedene mal sehr unanständig überlaut ge- gähnet hatte, warf nun den Kopf auf, als einer der was wichtiges sagen will, sah dazu aus wie zusammengeknoteter Drang, und plazte mit der unverschämten Quer- frage heraus: ob unpartheyisch beurtheilt, alle diese Vorlesungen nicht leeres Gewä- sche, oder aufs glimpflichste, physiogno- mische Mikrologie wären, dabey die Wis- senschaft mehr verlöhr als gewänne? Es entstunden hierüber wichtige Debatten: der Exprofessor wurzelte den Arzt nach Her- zenslust. Das Resultat der Dispüte lief endlich dahinaus: daß wenn der Vorwurf gegründet wäre, unsre physiognomische Privatakademie das Gebrechen fader, ge- schwätziger und mikrologischer Abhandlun- gen mit allen übrigen Akademien in Euro- pa gemein habe, von der Londner der Wis- senschaften an, bis auf die vaterländische
der
F 4
Doktor Baldrian, der als Auſkultant der Verſammlung beywohnte, ein kalter Spoͤt- ter und Starrkopf, der ſich nichts eindiſpu- tiren laͤßt und andern alles abdiſputiren will, dabey weder an die ſymboliſchen Buͤ- cher noch an das acidum pingue glaubt, und waͤhrend der akademiſchen Seſſion ver- ſchiedene mal ſehr unanſtaͤndig uͤberlaut ge- gaͤhnet hatte, warf nun den Kopf auf, als einer der was wichtiges ſagen will, ſah dazu aus wie zuſammengeknoteter Drang, und plazte mit der unverſchaͤmten Quer- frage heraus: ob unpartheyiſch beurtheilt, alle dieſe Vorleſungen nicht leeres Gewaͤ- ſche, oder aufs glimpflichſte, phyſiogno- miſche Mikrologie waͤren, dabey die Wiſ- ſenſchaft mehr verloͤhr als gewaͤnne? Es entſtunden hieruͤber wichtige Debatten: der Exprofeſſor wurzelte den Arzt nach Her- zensluſt. Das Reſultat der Diſpuͤte lief endlich dahinaus: daß wenn der Vorwurf gegruͤndet waͤre, unſre phyſiognomiſche Privatakademie das Gebrechen fader, ge- ſchwaͤtziger und mikrologiſcher Abhandlun- gen mit allen uͤbrigen Akademien in Euro- pa gemein habe, von der Londner der Wiſ- ſenſchaften an, bis auf die vaterlaͤndiſche
der
F 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0093"n="87"/><p>Doktor Baldrian, der als Auſkultant der<lb/>
Verſammlung beywohnte, ein kalter Spoͤt-<lb/>
ter und Starrkopf, der ſich nichts eindiſpu-<lb/>
tiren laͤßt und andern alles abdiſputiren<lb/>
will, dabey weder an die ſymboliſchen Buͤ-<lb/>
cher noch an das <hirendition="#aq">acidum pingue</hi> glaubt,<lb/>
und waͤhrend der akademiſchen Seſſion ver-<lb/>ſchiedene mal ſehr unanſtaͤndig uͤberlaut ge-<lb/>
gaͤhnet hatte, warf nun den Kopf auf, als<lb/>
einer der was wichtiges ſagen will, ſah<lb/>
dazu aus wie zuſammengeknoteter Drang,<lb/>
und plazte mit der unverſchaͤmten Quer-<lb/>
frage heraus: ob unpartheyiſch beurtheilt,<lb/>
alle dieſe Vorleſungen nicht leeres Gewaͤ-<lb/>ſche, oder aufs glimpflichſte, phyſiogno-<lb/>
miſche Mikrologie waͤren, dabey die Wiſ-<lb/>ſenſchaft mehr verloͤhr als gewaͤnne? Es<lb/>
entſtunden hieruͤber wichtige Debatten: der<lb/>
Exprofeſſor wurzelte den Arzt nach Her-<lb/>
zensluſt. Das Reſultat der Diſpuͤte lief<lb/>
endlich dahinaus: daß wenn der Vorwurf<lb/>
gegruͤndet waͤre, unſre phyſiognomiſche<lb/>
Privatakademie das Gebrechen fader, ge-<lb/>ſchwaͤtziger und mikrologiſcher Abhandlun-<lb/>
gen mit allen uͤbrigen Akademien in Euro-<lb/>
pa gemein habe, von der Londner der Wiſ-<lb/>ſenſchaften an, bis auf die vaterlaͤndiſche<lb/><fwplace="bottom"type="sig">F 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">der</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[87/0093]
Doktor Baldrian, der als Auſkultant der
Verſammlung beywohnte, ein kalter Spoͤt-
ter und Starrkopf, der ſich nichts eindiſpu-
tiren laͤßt und andern alles abdiſputiren
will, dabey weder an die ſymboliſchen Buͤ-
cher noch an das acidum pingue glaubt,
und waͤhrend der akademiſchen Seſſion ver-
ſchiedene mal ſehr unanſtaͤndig uͤberlaut ge-
gaͤhnet hatte, warf nun den Kopf auf, als
einer der was wichtiges ſagen will, ſah
dazu aus wie zuſammengeknoteter Drang,
und plazte mit der unverſchaͤmten Quer-
frage heraus: ob unpartheyiſch beurtheilt,
alle dieſe Vorleſungen nicht leeres Gewaͤ-
ſche, oder aufs glimpflichſte, phyſiogno-
miſche Mikrologie waͤren, dabey die Wiſ-
ſenſchaft mehr verloͤhr als gewaͤnne? Es
entſtunden hieruͤber wichtige Debatten: der
Exprofeſſor wurzelte den Arzt nach Her-
zensluſt. Das Reſultat der Diſpuͤte lief
endlich dahinaus: daß wenn der Vorwurf
gegruͤndet waͤre, unſre phyſiognomiſche
Privatakademie das Gebrechen fader, ge-
ſchwaͤtziger und mikrologiſcher Abhandlun-
gen mit allen uͤbrigen Akademien in Euro-
pa gemein habe, von der Londner der Wiſ-
ſenſchaften an, bis auf die vaterlaͤndiſche
der
F 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/93>, abgerufen am 01.08.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.