ein guter Bimsstein nöthig seyn, das unnütz Colorit damit wegzuschleifen. Jch kom- mentir' mich also:
Physiognomik deutet auf Menschenliebe, als Ziel und Zweck der Kunst, wer darauf fußet und in dieser Absicht physiognomisirt, der kommt zum Ziel und lernt Menschen lieb gewinnen. Aber dem Angaffer dünkt das alles Spielwerk und Nürnberger Tand; und der Faseler kann's auch nicht reimen, reibt sich die Augen, und sieht nicht, wie Physiognomik sey Gebährerinn der Men- schenliebe. Kommt alles drauf an, wie einer eine Sach' treibt. Wer's recht angreift hat Gewinn davon; macht's einer obenhin geht ihm auch alles Links. An dem Spöt- ter rächt sich die Kunst: der ist zu harthäu- tig Menschenliebe zu fühlen, drum ist ihm zur Strafe ihr wonniglich Gefühl versagt.
Eins von dreyen begegnet dem physio- gnomischen Forscher gewiß; entweder ge- lingts ihm, daß er der Kunst Meister wird, ihre Geheimnisse durchschauet und erfährt, daß sie lebt und webt in der Liebe; oder er lernt nie drauf aus, bleibt ein kalter An- stauner sein Lebelang; oder er schlägt ganz um und vermag nie mit Jnnigkeit zu um-
spannen,
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ein guter Bimsſtein noͤthig ſeyn, das unnuͤtz Colorit damit wegzuſchleifen. Jch kom- mentir’ mich alſo:
Phyſiognomik deutet auf Menſchenliebe, als Ziel und Zweck der Kunſt, wer darauf fußet und in dieſer Abſicht phyſiognomiſirt, der kommt zum Ziel und lernt Menſchen lieb gewinnen. Aber dem Angaffer duͤnkt das alles Spielwerk und Nuͤrnberger Tand; und der Faſeler kann’s auch nicht reimen, reibt ſich die Augen, und ſieht nicht, wie Phyſiognomik ſey Gebaͤhrerinn der Men- ſchenliebe. Kommt alles drauf an, wie einer eine Sach’ treibt. Wer’s recht angreift hat Gewinn davon; macht’s einer obenhin geht ihm auch alles Links. An dem Spoͤt- ter raͤcht ſich die Kunſt: der iſt zu harthaͤu- tig Menſchenliebe zu fuͤhlen, drum iſt ihm zur Strafe ihr wonniglich Gefuͤhl verſagt.
Eins von dreyen begegnet dem phyſio- gnomiſchen Forſcher gewiß; entweder ge- lingts ihm, daß er der Kunſt Meiſter wird, ihre Geheimniſſe durchſchauet und erfaͤhrt, daß ſie lebt und webt in der Liebe; oder er lernt nie drauf aus, bleibt ein kalter An- ſtauner ſein Lebelang; oder er ſchlaͤgt ganz um und vermag nie mit Jnnigkeit zu um-
ſpannen,
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ein guter Bimsſtein noͤthig ſeyn, das unnuͤtz
Colorit damit wegzuſchleifen. Jch kom-
mentir’ mich alſo:
Phyſiognomik deutet auf Menſchenliebe,
als Ziel und Zweck der Kunſt, wer darauf
fußet und in dieſer Abſicht phyſiognomiſirt,
der kommt zum Ziel und lernt Menſchen
lieb gewinnen. Aber dem Angaffer duͤnkt
das alles Spielwerk und Nuͤrnberger Tand;
und der Faſeler kann’s auch nicht reimen,
reibt ſich die Augen, und ſieht nicht, wie
Phyſiognomik ſey Gebaͤhrerinn der Men-
ſchenliebe. Kommt alles drauf an, wie
einer eine Sach’ treibt. Wer’s recht angreift
hat Gewinn davon; macht’s einer obenhin
geht ihm auch alles Links. An dem Spoͤt-
ter raͤcht ſich die Kunſt: der iſt zu harthaͤu-
tig Menſchenliebe zu fuͤhlen, drum iſt ihm
zur Strafe ihr wonniglich Gefuͤhl verſagt.
Eins von dreyen begegnet dem phyſio-
gnomiſchen Forſcher gewiß; entweder ge-
lingts ihm, daß er der Kunſt Meiſter wird,
ihre Geheimniſſe durchſchauet und erfaͤhrt,
daß ſie lebt und webt in der Liebe; oder er
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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/87>, abgerufen am 16.02.2025.
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