der Hofmeister taugt nicht: was einer auf- baut reißt der audre nieder, und wenns um und um kommt so läufts mit all den Erzie- hungsmethoden auf eins 'naus: ist viel Ge- schrey bey der Sach' und wenig Wolle. Der herrliche Menschenspäher Lavater, der sonst dem Philanthropinwesen nicht abhold ist, sagt gar recht, daß sich überhaupt eigentlich in den Menschen nichts hinein bringen läßt, nur heraus bringen, entwickeln läßt sich, was da ist. Kommt mir die Sach bald so vor, als wenn einer einen Strang Garn entwickeln und in ein Knäuel concentriren wollt: gilt's nicht gleich, ob er vom äussern End' anfängt oder vom innren? Der Faden folgt immer allgemach nach, und wird der Endzweck erreicht, man mags so oder so anstellen. Wenn aber einer von hinten und der andre von forne abwickelt, giebt's Ge- wirr, und muß der Faden oft abgerissen, wieder angeknüpft oder durchgesteckt werden, welches eitel Berdruß macht.
Sie lieber Freund, daß ichs frey 'raus sag', sind auch von der Edukationssucht nicht wenig befallen, wie's einem zärtlichen Va- ter leicht begegnet. Das Uebel ist bey Jh- nen schon lang eingewurzelt und in eine
chronische
der Hofmeiſter taugt nicht: was einer auf- baut reißt der audre nieder, und wenns um und um kommt ſo laͤufts mit all den Erzie- hungsmethoden auf eins ’naus: iſt viel Ge- ſchrey bey der Sach’ und wenig Wolle. Der herrliche Menſchenſpaͤher Lavater, der ſonſt dem Philanthropinweſen nicht abhold iſt, ſagt gar recht, daß ſich uͤberhaupt eigentlich in den Menſchen nichts hinein bringen laͤßt, nur heraus bringen, entwickeln laͤßt ſich, was da iſt. Kommt mir die Sach bald ſo vor, als wenn einer einen Strang Garn entwickeln und in ein Knaͤuel concentriren wollt: gilt’s nicht gleich, ob er vom aͤuſſern End’ anfaͤngt oder vom innren? Der Faden folgt immer allgemach nach, und wird der Endzweck erreicht, man mags ſo oder ſo anſtellen. Wenn aber einer von hinten und der andre von forne abwickelt, giebt’s Ge- wirr, und muß der Faden oft abgeriſſen, wieder angeknuͤpft oder durchgeſteckt werden, welches eitel Berdruß macht.
Sie lieber Freund, daß ichs frey ’raus ſag’, ſind auch von der Edukationsſucht nicht wenig befallen, wie’s einem zaͤrtlichen Va- ter leicht begegnet. Das Uebel iſt bey Jh- nen ſchon lang eingewurzelt und in eine
chroniſche
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der Hofmeiſter taugt nicht: was einer auf-
baut reißt der audre nieder, und wenns um
und um kommt ſo laͤufts mit all den Erzie-
hungsmethoden auf eins ’naus: iſt viel Ge-
ſchrey bey der Sach’ und wenig Wolle. Der
herrliche Menſchenſpaͤher Lavater, der ſonſt
dem Philanthropinweſen nicht abhold iſt,
ſagt gar recht, daß ſich uͤberhaupt eigentlich
in den Menſchen nichts hinein bringen laͤßt,
nur heraus bringen, entwickeln laͤßt ſich,
was da iſt. Kommt mir die Sach bald ſo
vor, als wenn einer einen Strang Garn
entwickeln und in ein Knaͤuel concentriren
wollt: gilt’s nicht gleich, ob er vom aͤuſſern
End’ anfaͤngt oder vom innren? Der Faden
folgt immer allgemach nach, und wird der
Endzweck erreicht, man mags ſo oder ſo
anſtellen. Wenn aber einer von hinten und
der andre von forne abwickelt, giebt’s Ge-
wirr, und muß der Faden oft abgeriſſen,
wieder angeknuͤpft oder durchgeſteckt werden,
welches eitel Berdruß macht.
Sie lieber Freund, daß ichs frey ’raus
ſag’, ſind auch von der Edukationsſucht nicht
wenig befallen, wie’s einem zaͤrtlichen Va-
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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/78>, abgerufen am 08.07.2024.
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