Personen, die er nur einmal gesehen hatte, zu beurtheilen, und das mit so viel Richtig- keit, daß Pater Suadens, sein damaliger Busenfreund, ein vernünftiger kaltblütiger Mann der Meinung war, er müsse ein se- cretum naturale haben; wiewohl andere daraus Schwärmerey und Aberwitz weissag- ten. Dieses Studium lebt iezt wieder bey Gaßnern auf: er beschäftiget sich gegenwär- tig, die Physiognomie der merkwürdigsten Besessenen, die er im Paroxismus, vor oder während der Exorcisation, von einem guten Meister hat zeichnen lassen, als einen phy- siognomischen Beytrag der Welt vor Augen zu stellen, und vermeint dadurch wenigstens die Kunstverständigen auf seine Seite zu bringen, und sie zu überzeugen, daß ein Ge- sicht eben so leserlich Buchstabe der Verteu- felung seyn könne, wie O Buchstabe der Be- wunderung und des Erstaunens ist.
Es ist mir gelungen einige dieser Zeich- nungen von einem Mitgliede der exspirirten kaiserlichen franziscischen Kunstakademie, Herrn Jgnaz Hagemeyer, einem Vetter des Dr. Hagemeyers, Physikers der Stadt Scherbenhaußen in Bayern, ehemaligen Schildhalters und Waffenträgers des geist-
lichen
Perſonen, die er nur einmal geſehen hatte, zu beurtheilen, und das mit ſo viel Richtig- keit, daß Pater Suadens, ſein damaliger Buſenfreund, ein vernuͤnftiger kaltbluͤtiger Mann der Meinung war, er muͤſſe ein ſe- cretum naturale haben; wiewohl andere daraus Schwaͤrmerey und Aberwitz weiſſag- ten. Dieſes Studium lebt iezt wieder bey Gaßnern auf: er beſchaͤftiget ſich gegenwaͤr- tig, die Phyſiognomie der merkwuͤrdigſten Beſeſſenen, die er im Paroxismus, vor oder waͤhrend der Exorciſation, von einem guten Meiſter hat zeichnen laſſen, als einen phy- ſiognomiſchen Beytrag der Welt vor Augen zu ſtellen, und vermeint dadurch wenigſtens die Kunſtverſtaͤndigen auf ſeine Seite zu bringen, und ſie zu uͤberzeugen, daß ein Ge- ſicht eben ſo leſerlich Buchſtabe der Verteu- felung ſeyn koͤnne, wie O Buchſtabe der Be- wunderung und des Erſtaunens iſt.
Es iſt mir gelungen einige dieſer Zeich- nungen von einem Mitgliede der exſpirirten kaiſerlichen franziſciſchen Kunſtakademie, Herrn Jgnaz Hagemeyer, einem Vetter des Dr. Hagemeyers, Phyſikers der Stadt Scherbenhaußen in Bayern, ehemaligen Schildhalters und Waffentraͤgers des geiſt-
lichen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0056"n="50"/>
Perſonen, die er nur einmal geſehen hatte,<lb/>
zu beurtheilen, und das mit ſo viel Richtig-<lb/>
keit, daß Pater Suadens, ſein damaliger<lb/>
Buſenfreund, ein vernuͤnftiger kaltbluͤtiger<lb/>
Mann der Meinung war, er muͤſſe ein <hirendition="#aq">ſe-<lb/>
cretum naturale</hi> haben; wiewohl andere<lb/>
daraus Schwaͤrmerey und Aberwitz weiſſag-<lb/>
ten. Dieſes Studium lebt iezt wieder bey<lb/>
Gaßnern auf: er beſchaͤftiget ſich gegenwaͤr-<lb/>
tig, die Phyſiognomie der merkwuͤrdigſten<lb/>
Beſeſſenen, die er im Paroxismus, vor oder<lb/>
waͤhrend der Exorciſation, von einem guten<lb/>
Meiſter hat zeichnen laſſen, als einen phy-<lb/>ſiognomiſchen Beytrag der Welt vor Augen<lb/>
zu ſtellen, und vermeint dadurch wenigſtens<lb/>
die Kunſtverſtaͤndigen auf ſeine Seite zu<lb/>
bringen, und ſie zu uͤberzeugen, daß ein Ge-<lb/>ſicht eben ſo leſerlich Buchſtabe der Verteu-<lb/>
felung ſeyn koͤnne, wie <hirendition="#fr">O</hi> Buchſtabe der Be-<lb/>
wunderung und des Erſtaunens iſt.</p><lb/><p>Es iſt mir gelungen einige dieſer Zeich-<lb/>
nungen von einem Mitgliede der exſpirirten<lb/>
kaiſerlichen franziſciſchen Kunſtakademie,<lb/>
Herrn Jgnaz Hagemeyer, einem Vetter<lb/>
des Dr. Hagemeyers, Phyſikers der Stadt<lb/>
Scherbenhaußen in Bayern, ehemaligen<lb/>
Schildhalters und Waffentraͤgers des geiſt-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">lichen</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[50/0056]
Perſonen, die er nur einmal geſehen hatte,
zu beurtheilen, und das mit ſo viel Richtig-
keit, daß Pater Suadens, ſein damaliger
Buſenfreund, ein vernuͤnftiger kaltbluͤtiger
Mann der Meinung war, er muͤſſe ein ſe-
cretum naturale haben; wiewohl andere
daraus Schwaͤrmerey und Aberwitz weiſſag-
ten. Dieſes Studium lebt iezt wieder bey
Gaßnern auf: er beſchaͤftiget ſich gegenwaͤr-
tig, die Phyſiognomie der merkwuͤrdigſten
Beſeſſenen, die er im Paroxismus, vor oder
waͤhrend der Exorciſation, von einem guten
Meiſter hat zeichnen laſſen, als einen phy-
ſiognomiſchen Beytrag der Welt vor Augen
zu ſtellen, und vermeint dadurch wenigſtens
die Kunſtverſtaͤndigen auf ſeine Seite zu
bringen, und ſie zu uͤberzeugen, daß ein Ge-
ſicht eben ſo leſerlich Buchſtabe der Verteu-
felung ſeyn koͤnne, wie O Buchſtabe der Be-
wunderung und des Erſtaunens iſt.
Es iſt mir gelungen einige dieſer Zeich-
nungen von einem Mitgliede der exſpirirten
kaiſerlichen franziſciſchen Kunſtakademie,
Herrn Jgnaz Hagemeyer, einem Vetter
des Dr. Hagemeyers, Phyſikers der Stadt
Scherbenhaußen in Bayern, ehemaligen
Schildhalters und Waffentraͤgers des geiſt-
lichen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/56>, abgerufen am 08.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.