werbe, zu welchem der Nachlaß meiner Voreltern mir Beruf gab, den hab ich nun wohl treulich erfüllt; aber er war mir nicht gnug meine Tageszeit auszufüllen, und den Bedürfnissen meiner Seele Gnüge zu leisten. Wie oft war die Langeweile meine Gesell- schafterinn, wenn ich vom Traubenhügel hinüber ins Waitzenfeld schlich, um unter den belaubten Aesten eines wilden Birn- baums meine Schnitter zu beobachten! Fand ich gleich zuweilen eine schlaue Moa- bitinn in seinem Schatten, die auf meinen Acker Aehren lesen gieng! so amüsirt' ich mich mit ihr wohl eine Stunde; es war aber nur Palliatif ohne Heilkraft, und ich erkannte immer gewisser, daß der Mensch weder gemacht ist, bloß zu vegetiren, wie die Pflanze, noch zum Fressen und verkäuen wie die Heuschrecke, noch für den Gattungstrieb allein zu leben, wie der Seidenschmetterling, wenn er aus der Puppe hervorschlupft.
Wohl mir! daß ich sie endlich gefunden habe die eigentliche specifike Nahrung mei- nes Geistes, die Silberquelle in der dürren Syrischen Sandwüste meines Berufs, der mich irrenden Wanderer oft ermüdet, nie erquicket oder die Schnellkraft meiner Seele
gestärket
werbe, zu welchem der Nachlaß meiner Voreltern mir Beruf gab, den hab ich nun wohl treulich erfuͤllt; aber er war mir nicht gnug meine Tageszeit auszufuͤllen, und den Beduͤrfniſſen meiner Seele Gnuͤge zu leiſten. Wie oft war die Langeweile meine Geſell- ſchafterinn, wenn ich vom Traubenhuͤgel hinuͤber ins Waitzenfeld ſchlich, um unter den belaubten Aeſten eines wilden Birn- baums meine Schnitter zu beobachten! Fand ich gleich zuweilen eine ſchlaue Moa- bitinn in ſeinem Schatten, die auf meinen Acker Aehren leſen gieng! ſo amuͤſirt’ ich mich mit ihr wohl eine Stunde; es war aber nur Palliatif ohne Heilkraft, und ich erkannte immer gewiſſer, daß der Menſch weder gemacht iſt, bloß zu vegetiren, wie die Pflanze, noch zum Freſſen und verkaͤuen wie die Heuſchrecke, noch fuͤr den Gattungstrieb allein zu leben, wie der Seidenſchmetterling, wenn er aus der Puppe hervorſchlupft.
Wohl mir! daß ich ſie endlich gefunden habe die eigentliche ſpecifike Nahrung mei- nes Geiſtes, die Silberquelle in der duͤrren Syriſchen Sandwuͤſte meines Berufs, der mich irrenden Wanderer oft ermuͤdet, nie erquicket oder die Schnellkraft meiner Seele
geſtaͤrket
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0032"n="26"/>
werbe, zu welchem der Nachlaß meiner<lb/>
Voreltern mir Beruf gab, den hab ich nun<lb/>
wohl treulich erfuͤllt; aber er war mir nicht<lb/>
gnug meine Tageszeit auszufuͤllen, und den<lb/>
Beduͤrfniſſen meiner Seele Gnuͤge zu leiſten.<lb/>
Wie oft war die Langeweile meine Geſell-<lb/>ſchafterinn, wenn ich vom Traubenhuͤgel<lb/>
hinuͤber ins Waitzenfeld ſchlich, um unter<lb/>
den belaubten Aeſten eines wilden Birn-<lb/>
baums meine Schnitter zu beobachten!<lb/>
Fand ich gleich zuweilen eine ſchlaue Moa-<lb/>
bitinn in ſeinem Schatten, die auf meinen<lb/>
Acker Aehren leſen gieng! ſo amuͤſirt’ ich<lb/>
mich mit ihr wohl eine Stunde; es war<lb/>
aber nur Palliatif ohne Heilkraft, und ich<lb/>
erkannte immer gewiſſer, daß der Menſch<lb/>
weder gemacht iſt, bloß zu vegetiren, wie die<lb/>
Pflanze, noch zum Freſſen und verkaͤuen wie<lb/>
die Heuſchrecke, noch fuͤr den Gattungstrieb<lb/>
allein zu leben, wie der Seidenſchmetterling,<lb/>
wenn er aus der Puppe hervorſchlupft.</p><lb/><p>Wohl mir! daß ich ſie endlich gefunden<lb/>
habe die eigentliche ſpecifike Nahrung mei-<lb/>
nes Geiſtes, die Silberquelle in der duͤrren<lb/>
Syriſchen Sandwuͤſte meines Berufs, der<lb/>
mich irrenden Wanderer oft ermuͤdet, nie<lb/>
erquicket oder die Schnellkraft meiner Seele<lb/><fwplace="bottom"type="catch">geſtaͤrket</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[26/0032]
werbe, zu welchem der Nachlaß meiner
Voreltern mir Beruf gab, den hab ich nun
wohl treulich erfuͤllt; aber er war mir nicht
gnug meine Tageszeit auszufuͤllen, und den
Beduͤrfniſſen meiner Seele Gnuͤge zu leiſten.
Wie oft war die Langeweile meine Geſell-
ſchafterinn, wenn ich vom Traubenhuͤgel
hinuͤber ins Waitzenfeld ſchlich, um unter
den belaubten Aeſten eines wilden Birn-
baums meine Schnitter zu beobachten!
Fand ich gleich zuweilen eine ſchlaue Moa-
bitinn in ſeinem Schatten, die auf meinen
Acker Aehren leſen gieng! ſo amuͤſirt’ ich
mich mit ihr wohl eine Stunde; es war
aber nur Palliatif ohne Heilkraft, und ich
erkannte immer gewiſſer, daß der Menſch
weder gemacht iſt, bloß zu vegetiren, wie die
Pflanze, noch zum Freſſen und verkaͤuen wie
die Heuſchrecke, noch fuͤr den Gattungstrieb
allein zu leben, wie der Seidenſchmetterling,
wenn er aus der Puppe hervorſchlupft.
Wohl mir! daß ich ſie endlich gefunden
habe die eigentliche ſpecifike Nahrung mei-
nes Geiſtes, die Silberquelle in der duͤrren
Syriſchen Sandwuͤſte meines Berufs, der
mich irrenden Wanderer oft ermuͤdet, nie
erquicket oder die Schnellkraft meiner Seele
geſtaͤrket
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/32>, abgerufen am 08.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.