und das irdische Wohl eines engbegränzten Reichsstädtleins in Schwaben auf des an- dern Schultern ruhen, sie hätten ihre Ta- ge im Hinbrüten verlebt, ohne von der Schwungkraft des hohen Dichtergefühls an den Olymp hinaufgehoben zu werden, und bey den Gastmahlen der Götter Nectar und Ambrosia zu kosten.
Moses Mendelsohn auf der einen Hemi- sphäre, und Sir Hancok auf der andern un- sers Erdballs, empfiengen beyde Kaufmanns- geist; iener aus der Erbschaft seiner Väter, dieser durch den Jnstinkt zum Gewinn. Beyde folgten ihrem natürlichen Beruf, der Erste als Vorsteher einer Sammtfabrik, der Andere als Schleichhändler. Aber beyde lei- tete einerley Lieblingsneigung auf ein Stu- dium, das mit den Geschäften ihres Berufs nichts gemein hat: beyde widmeten ihre Musse der Philosophie mit gleichem Fort- gange. Der Erste forschte nach der Theo- rie solratischer Weisheit, und fand sie; der Andere haschte nach der Praxis machiavelli- stischer Künste, und fand sie auch. Beyde haben in zwey Welttheilen durch dieses Ne- bengeschäfte mehr Celebrität erworben, als ihnen ihr hauptsächliches ergon iemals hof-
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und das irdiſche Wohl eines engbegraͤnzten Reichsſtaͤdtleins in Schwaben auf des an- dern Schultern ruhen, ſie haͤtten ihre Ta- ge im Hinbruͤten verlebt, ohne von der Schwungkraft des hohen Dichtergefuͤhls an den Olymp hinaufgehoben zu werden, und bey den Gaſtmahlen der Goͤtter Nectar und Ambroſia zu koſten.
Moſes Mendelſohn auf der einen Hemi- ſphaͤre, und Sir Hancok auf der andern un- ſers Erdballs, empfiengen beyde Kaufmanns- geiſt; iener aus der Erbſchaft ſeiner Vaͤter, dieſer durch den Jnſtinkt zum Gewinn. Beyde folgten ihrem natuͤrlichen Beruf, der Erſte als Vorſteher einer Sammtfabrik, der Andere als Schleichhaͤndler. Aber beyde lei- tete einerley Lieblingsneigung auf ein Stu- dium, das mit den Geſchaͤften ihres Berufs nichts gemein hat: beyde widmeten ihre Muſſe der Philoſophie mit gleichem Fort- gange. Der Erſte forſchte nach der Theo- rie ſolratiſcher Weisheit, und fand ſie; der Andere haſchte nach der Praxis machiavelli- ſtiſcher Kuͤnſte, und fand ſie auch. Beyde haben in zwey Welttheilen durch dieſes Ne- bengeſchaͤfte mehr Celebritaͤt erworben, als ihnen ihr hauptſaͤchliches εϱγον iemals hof-
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und das irdiſche Wohl eines engbegraͤnzten
Reichsſtaͤdtleins in Schwaben auf des an-
dern Schultern ruhen, ſie haͤtten ihre Ta-
ge im Hinbruͤten verlebt, ohne von der
Schwungkraft des hohen Dichtergefuͤhls an
den Olymp hinaufgehoben zu werden, und
bey den Gaſtmahlen der Goͤtter Nectar und
Ambroſia zu koſten.
Moſes Mendelſohn auf der einen Hemi-
ſphaͤre, und Sir Hancok auf der andern un-
ſers Erdballs, empfiengen beyde Kaufmanns-
geiſt; iener aus der Erbſchaft ſeiner Vaͤter,
dieſer durch den Jnſtinkt zum Gewinn.
Beyde folgten ihrem natuͤrlichen Beruf, der
Erſte als Vorſteher einer Sammtfabrik, der
Andere als Schleichhaͤndler. Aber beyde lei-
tete einerley Lieblingsneigung auf ein Stu-
dium, das mit den Geſchaͤften ihres Berufs
nichts gemein hat: beyde widmeten ihre
Muſſe der Philoſophie mit gleichem Fort-
gange. Der Erſte forſchte nach der Theo-
rie ſolratiſcher Weisheit, und fand ſie; der
Andere haſchte nach der Praxis machiavelli-
ſtiſcher Kuͤnſte, und fand ſie auch. Beyde
haben in zwey Welttheilen durch dieſes Ne-
bengeſchaͤfte mehr Celebritaͤt erworben, als
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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/30>, abgerufen am 16.02.2025.
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