Land und See verführen. Wenn also der Schulmeister von Selters, der allein das Privilegium hat, gegen Gebühr die Krüg' zu füllen und zu petschieren, seiner Pflicht wahrnimmt, und rein Wasser einfüllt, thut mir die Flasche, die ich aus der dritten oder vierten Hand hab', eben die Dienst' als das Quellwasser. Begiebt sich wohl mit unter, daß ein Krug nach faulen Eyern schmekt; aber wer wird den trinken? Die üble Beschaffenheit veroffenbart sich bald, wenn einer den Kork nur ein wenig lüftet und hinein riecht. Nun mach' der Herr hievon die Amwendung.
M. Gr. Jch gestehe es Jhnen gar gern zu, daß sie mir in Gleichnissen über- legen sind. Aber oben haben sie mir be- reits eingeräumt, was der Augenschein auch lehret, daß das Studium der klassi- schen Schriftsteller von aller Art, und die Kenntniß der gelehrten Sprachen, in un- sern Tagen wenig mehr geachtet wird. Wenn nun diese Meisterstücke nicht mehr als Vorbilder und Regeln des gesunden, und von aller Welt als richtig anerkann- ten Geschmaks gelten; wenn nicht mehr darnach gearbeitet wird; wenn die Phan-
tasie
Land und See verfuͤhren. Wenn alſo der Schulmeiſter von Selters, der allein das Privilegium hat, gegen Gebuͤhr die Kruͤg’ zu fuͤllen und zu petſchieren, ſeiner Pflicht wahrnimmt, und rein Waſſer einfuͤllt, thut mir die Flaſche, die ich aus der dritten oder vierten Hand hab’, eben die Dienſt’ als das Quellwaſſer. Begiebt ſich wohl mit unter, daß ein Krug nach faulen Eyern ſchmekt; aber wer wird den trinken? Die uͤble Beſchaffenheit veroffenbart ſich bald, wenn einer den Kork nur ein wenig luͤftet und hinein riecht. Nun mach’ der Herr hievon die Amwendung.
M. Gr. Jch geſtehe es Jhnen gar gern zu, daß ſie mir in Gleichniſſen uͤber- legen ſind. Aber oben haben ſie mir be- reits eingeraͤumt, was der Augenſchein auch lehret, daß das Studium der klaſſi- ſchen Schriftſteller von aller Art, und die Kenntniß der gelehrten Sprachen, in un- ſern Tagen wenig mehr geachtet wird. Wenn nun dieſe Meiſterſtuͤcke nicht mehr als Vorbilder und Regeln des geſunden, und von aller Welt als richtig anerkann- ten Geſchmaks gelten; wenn nicht mehr darnach gearbeitet wird; wenn die Phan-
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Land und See verfuͤhren. Wenn alſo der
Schulmeiſter von Selters, der allein das
Privilegium hat, gegen Gebuͤhr die Kruͤg’
zu fuͤllen und zu petſchieren, ſeiner Pflicht
wahrnimmt, und rein Waſſer einfuͤllt, thut
mir die Flaſche, die ich aus der dritten
oder vierten Hand hab’, eben die Dienſt’
als das Quellwaſſer. Begiebt ſich wohl
mit unter, daß ein Krug nach faulen Eyern
ſchmekt; aber wer wird den trinken? Die
uͤble Beſchaffenheit veroffenbart ſich bald,
wenn einer den Kork nur ein wenig luͤftet
und hinein riecht. Nun mach’ der Herr
hievon die Amwendung.
M. Gr. Jch geſtehe es Jhnen gar
gern zu, daß ſie mir in Gleichniſſen uͤber-
legen ſind. Aber oben haben ſie mir be-
reits eingeraͤumt, was der Augenſchein
auch lehret, daß das Studium der klaſſi-
ſchen Schriftſteller von aller Art, und die
Kenntniß der gelehrten Sprachen, in un-
ſern Tagen wenig mehr geachtet wird.
Wenn nun dieſe Meiſterſtuͤcke nicht mehr
als Vorbilder und Regeln des geſunden,
und von aller Welt als richtig anerkann-
ten Geſchmaks gelten; wenn nicht mehr
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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/172>, abgerufen am 08.07.2024.
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