gnomik haben, kaum ein guter Physiogno- mist sich aussondern, oder wie ein Goldkorn aus einem Sandhaufen ausschlemmen läßt: so kann es dieser Wissenschaft eben so wenig an Pfuschern und Bönhasen fehlen als der Alchymie, wo man sicher eine gleiche An- zahl Goldkocher, gegen einen wahren Ade- pten rechnen kann, wenn anders ein solcher Phönix iemals existirt hat. Es ist der Klug- heit gemäß, den Sudler und Spötter auf gleiche Weise von sich fern zu halten, da- mit man von ienem nicht hintergangen und von diesem nicht ausgelacht werde. Wenn ich nicht schon ein ziemlich geübtes Auge hätte, so würde mich das überschickte Pro- fil getäuschet, und Sie würden, wenn ich mehr den geschriebenen Buchstaben Jhres Briefes als den physiognomischen der Schat- tenzeichnung geglaubt hätte; mich unter den Troß der neun tausend neun hundert und neun und neunzig physiognomischen Jdioten gezählt haben, ohne sich mit mir iemals associiren zu wollen.
Aber so fein Sie auch alles bey Jhrer Aufgabe angelegt hatten, mich zu verwir- ren, so habe ich doch solche mit einem ein- zigen Tiefblick gelöset. Jn dem Jhrem
Briefe
gnomik haben, kaum ein guter Phyſiogno- miſt ſich ausſondern, oder wie ein Goldkorn aus einem Sandhaufen ausſchlemmen laͤßt: ſo kann es dieſer Wiſſenſchaft eben ſo wenig an Pfuſchern und Boͤnhaſen fehlen als der Alchymie, wo man ſicher eine gleiche An- zahl Goldkocher, gegen einen wahren Ade- pten rechnen kann, wenn anders ein ſolcher Phoͤnix iemals exiſtirt hat. Es iſt der Klug- heit gemaͤß, den Sudler und Spoͤtter auf gleiche Weiſe von ſich fern zu halten, da- mit man von ienem nicht hintergangen und von dieſem nicht ausgelacht werde. Wenn ich nicht ſchon ein ziemlich geuͤbtes Auge haͤtte, ſo wuͤrde mich das uͤberſchickte Pro- fil getaͤuſchet, und Sie wuͤrden, wenn ich mehr den geſchriebenen Buchſtaben Jhres Briefes als den phyſiognomiſchen der Schat- tenzeichnung geglaubt haͤtte; mich unter den Troß der neun tauſend neun hundert und neun und neunzig phyſiognomiſchen Jdioten gezaͤhlt haben, ohne ſich mit mir iemals aſſociiren zu wollen.
Aber ſo fein Sie auch alles bey Jhrer Aufgabe angelegt hatten, mich zu verwir- ren, ſo habe ich doch ſolche mit einem ein- zigen Tiefblick geloͤſet. Jn dem Jhrem
Briefe
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0144"n="138"/>
gnomik haben, kaum ein guter Phyſiogno-<lb/>
miſt ſich ausſondern, oder wie ein Goldkorn<lb/>
aus einem Sandhaufen ausſchlemmen laͤßt:<lb/>ſo kann es dieſer Wiſſenſchaft eben ſo wenig<lb/>
an Pfuſchern und Boͤnhaſen fehlen als der<lb/>
Alchymie, wo man ſicher eine gleiche An-<lb/>
zahl Goldkocher, gegen einen wahren Ade-<lb/>
pten rechnen kann, wenn anders ein ſolcher<lb/>
Phoͤnix iemals exiſtirt hat. Es iſt der Klug-<lb/>
heit gemaͤß, den Sudler und Spoͤtter auf<lb/>
gleiche Weiſe von ſich fern zu halten, da-<lb/>
mit man von ienem nicht hintergangen und<lb/>
von dieſem nicht ausgelacht werde. Wenn<lb/>
ich nicht ſchon ein ziemlich geuͤbtes Auge<lb/>
haͤtte, ſo wuͤrde mich das uͤberſchickte Pro-<lb/>
fil getaͤuſchet, und Sie wuͤrden, wenn ich<lb/>
mehr den geſchriebenen Buchſtaben Jhres<lb/>
Briefes als den phyſiognomiſchen der Schat-<lb/>
tenzeichnung geglaubt haͤtte; mich unter den<lb/>
Troß der neun tauſend neun hundert und<lb/>
neun und neunzig phyſiognomiſchen Jdioten<lb/>
gezaͤhlt haben, ohne ſich mit mir iemals<lb/>
aſſociiren zu wollen.</p><lb/><p>Aber ſo fein Sie auch alles bey Jhrer<lb/>
Aufgabe angelegt hatten, mich zu verwir-<lb/>
ren, ſo habe ich doch ſolche mit einem ein-<lb/>
zigen Tiefblick geloͤſet. Jn dem Jhrem<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Briefe</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[138/0144]
gnomik haben, kaum ein guter Phyſiogno-
miſt ſich ausſondern, oder wie ein Goldkorn
aus einem Sandhaufen ausſchlemmen laͤßt:
ſo kann es dieſer Wiſſenſchaft eben ſo wenig
an Pfuſchern und Boͤnhaſen fehlen als der
Alchymie, wo man ſicher eine gleiche An-
zahl Goldkocher, gegen einen wahren Ade-
pten rechnen kann, wenn anders ein ſolcher
Phoͤnix iemals exiſtirt hat. Es iſt der Klug-
heit gemaͤß, den Sudler und Spoͤtter auf
gleiche Weiſe von ſich fern zu halten, da-
mit man von ienem nicht hintergangen und
von dieſem nicht ausgelacht werde. Wenn
ich nicht ſchon ein ziemlich geuͤbtes Auge
haͤtte, ſo wuͤrde mich das uͤberſchickte Pro-
fil getaͤuſchet, und Sie wuͤrden, wenn ich
mehr den geſchriebenen Buchſtaben Jhres
Briefes als den phyſiognomiſchen der Schat-
tenzeichnung geglaubt haͤtte; mich unter den
Troß der neun tauſend neun hundert und
neun und neunzig phyſiognomiſchen Jdioten
gezaͤhlt haben, ohne ſich mit mir iemals
aſſociiren zu wollen.
Aber ſo fein Sie auch alles bey Jhrer
Aufgabe angelegt hatten, mich zu verwir-
ren, ſo habe ich doch ſolche mit einem ein-
zigen Tiefblick geloͤſet. Jn dem Jhrem
Briefe
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/144>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.