der überein, diesen Kontrakt aufzuheben: das kan niemand wehren; will einer draus scheiden: auch gut! dem gebe man seinen Laufpaß und laß' ihn im Frieden ziehen. Aber an den Jnnungsartikeln darf keiner ei- genmächtig meistern und bessern, wenn er auch gleich Mängel und Gebrechen daran finden sollt'. Wo ist ein menschlich Werk ohne Fehl? Alle Gesetzbücher, von dem, das der weise Lykurg verfaßt hat, bis auf das neue Gesetzbuch in Rußland, hat iedes nebst dem reinen guten Gehalt, auch seine Legirung oder Zusatz von Unvollkommenheit; demungeachtet gilt's vor voll in dem Staat wo's ausgeprägt ist, verknüpft alle Theil' in ein Ganzes vest und unauflöslich zusam- men, erhält alle Operationen der Staats- maschine in einer gleichmäßigen Bewegung, daß sie in der nämlichen Beschaffenheit lan- ge Zeit ausdauren kann, wie eine Taschen- uhr die desto länger die Stunden richtig zeigt, ie seltener man sie zerlegen, putzen und re- pariren läßt. Aber in der Glaubenslehr will ieder den Zeiger anders rücken und darfs auch.
Wie das zugeht ist mir kein Geheimniß; ie mehr ich darüber dicht und denk, desto
deut-
der uͤberein, dieſen Kontrakt aufzuheben: das kan niemand wehren; will einer draus ſcheiden: auch gut! dem gebe man ſeinen Laufpaß und laß’ ihn im Frieden ziehen. Aber an den Jnnungsartikeln darf keiner ei- genmaͤchtig meiſtern und beſſern, wenn er auch gleich Maͤngel und Gebrechen daran finden ſollt’. Wo iſt ein menſchlich Werk ohne Fehl? Alle Geſetzbuͤcher, von dem, das der weiſe Lykurg verfaßt hat, bis auf das neue Geſetzbuch in Rußland, hat iedes nebſt dem reinen guten Gehalt, auch ſeine Legirung oder Zuſatz von Unvollkommenheit; demungeachtet gilt’s vor voll in dem Staat wo’s ausgepraͤgt iſt, verknuͤpft alle Theil’ in ein Ganzes veſt und unaufloͤslich zuſam- men, erhaͤlt alle Operationen der Staats- maſchine in einer gleichmaͤßigen Bewegung, daß ſie in der naͤmlichen Beſchaffenheit lan- ge Zeit ausdauren kann, wie eine Taſchen- uhr die deſto laͤnger die Stunden richtig zeigt, ie ſeltener man ſie zerlegen, putzen und re- pariren laͤßt. Aber in der Glaubenslehr will ieder den Zeiger anders ruͤcken und darfs auch.
Wie das zugeht iſt mir kein Geheimniß; ie mehr ich daruͤber dicht und denk, deſto
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der uͤberein, dieſen Kontrakt aufzuheben:
das kan niemand wehren; will einer draus
ſcheiden: auch gut! dem gebe man ſeinen
Laufpaß und laß’ ihn im Frieden ziehen.
Aber an den Jnnungsartikeln darf keiner ei-
genmaͤchtig meiſtern und beſſern, wenn er
auch gleich Maͤngel und Gebrechen daran
finden ſollt’. Wo iſt ein menſchlich Werk
ohne Fehl? Alle Geſetzbuͤcher, von dem,
das der weiſe Lykurg verfaßt hat, bis auf
das neue Geſetzbuch in Rußland, hat iedes
nebſt dem reinen guten Gehalt, auch ſeine
Legirung oder Zuſatz von Unvollkommenheit;
demungeachtet gilt’s vor voll in dem Staat
wo’s ausgepraͤgt iſt, verknuͤpft alle Theil’
in ein Ganzes veſt und unaufloͤslich zuſam-
men, erhaͤlt alle Operationen der Staats-
maſchine in einer gleichmaͤßigen Bewegung,
daß ſie in der naͤmlichen Beſchaffenheit lan-
ge Zeit ausdauren kann, wie eine Taſchen-
uhr die deſto laͤnger die Stunden richtig zeigt,
ie ſeltener man ſie zerlegen, putzen und re-
pariren laͤßt. Aber in der Glaubenslehr
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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/118>, abgerufen am 16.02.2025.
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