Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

ne Rechnung nach, und rechnete geschwind
nicht nur seinen vieliährigen Erwerb, son-
dern auch sein eigenthümliches Vermögen
und seinen ehrlichen Namen hinweg, daß
ihm nichts übrig blieb, als Schande und
der Bettelstab.

Jn dieser Verlegenheit ließ ihm der gnä-
dige Herr einen Vergleich anbieten. -- Ach,
ich Unglükliche! war der Preiß, um wel-
chen er alle Anforderungen an meinen Va-
ter zurücknehmen, und ihn bey Ehre und
Gut lassen wollte. Dieser Vorschlag wur-
de sehr billig gefunden, und von meinem --
-- unnatürlichen Vater angenommen. Mit
der Kaltblütigkeit, mit welcher ein harther-
ziger Richter einen Dieb zum Strange ver-
urtheilt, entdeckte mir der Mann, der ehe-
mals mein Vater gewesen war, daß ich zum
Baalsopfer bestimmt sey, und belehrte mich
von der Pflicht ohne Widerrede zu gehor-
chen: weil es vernünftig wäre, einen Zahn
drum zu geben, wenn die Schmerzen des
ganzen Körpers dadurch könnten gehoben
werden.

Mein schauervolles Entsetzen, meine Bit-
ten und Thränen -- alles -- alles das
rührte ihn so wenig, daß er mir mit kaltem

Blute
G 2

ne Rechnung nach, und rechnete geſchwind
nicht nur ſeinen vieliaͤhrigen Erwerb, ſon-
dern auch ſein eigenthuͤmliches Vermoͤgen
und ſeinen ehrlichen Namen hinweg, daß
ihm nichts uͤbrig blieb, als Schande und
der Bettelſtab.

Jn dieſer Verlegenheit ließ ihm der gnaͤ-
dige Herr einen Vergleich anbieten. — Ach,
ich Ungluͤkliche! war der Preiß, um wel-
chen er alle Anforderungen an meinen Va-
ter zuruͤcknehmen, und ihn bey Ehre und
Gut laſſen wollte. Dieſer Vorſchlag wur-
de ſehr billig gefunden, und von meinem —
— unnatuͤrlichen Vater angenommen. Mit
der Kaltbluͤtigkeit, mit welcher ein harther-
ziger Richter einen Dieb zum Strange ver-
urtheilt, entdeckte mir der Mann, der ehe-
mals mein Vater geweſen war, daß ich zum
Baalsopfer beſtimmt ſey, und belehrte mich
von der Pflicht ohne Widerrede zu gehor-
chen: weil es vernuͤnftig waͤre, einen Zahn
drum zu geben, wenn die Schmerzen des
ganzen Koͤrpers dadurch koͤnnten gehoben
werden.

Mein ſchauervolles Entſetzen, meine Bit-
ten und Thraͤnen — alles — alles das
ruͤhrte ihn ſo wenig, daß er mir mit kaltem

Blute
G 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0105" n="99"/>
ne Rechnung nach, und rechnete ge&#x017F;chwind<lb/>
nicht nur &#x017F;einen vielia&#x0364;hrigen Erwerb, &#x017F;on-<lb/>
dern auch &#x017F;ein eigenthu&#x0364;mliches Vermo&#x0364;gen<lb/>
und &#x017F;einen ehrlichen Namen hinweg, daß<lb/>
ihm nichts u&#x0364;brig blieb, als Schande und<lb/>
der Bettel&#x017F;tab.</p><lb/>
          <p>Jn die&#x017F;er Verlegenheit ließ ihm der gna&#x0364;-<lb/>
dige Herr einen Vergleich anbieten. &#x2014; Ach,<lb/>
ich Unglu&#x0364;kliche! war der Preiß, um wel-<lb/>
chen er alle Anforderungen an meinen Va-<lb/>
ter zuru&#x0364;cknehmen, und ihn bey Ehre und<lb/>
Gut la&#x017F;&#x017F;en wollte. Die&#x017F;er Vor&#x017F;chlag wur-<lb/>
de &#x017F;ehr billig gefunden, und von meinem &#x2014;<lb/>
&#x2014; unnatu&#x0364;rlichen Vater angenommen. Mit<lb/>
der Kaltblu&#x0364;tigkeit, mit welcher ein harther-<lb/>
ziger Richter einen Dieb zum Strange ver-<lb/>
urtheilt, entdeckte mir der Mann, der ehe-<lb/>
mals mein Vater gewe&#x017F;en war, daß ich zum<lb/>
Baalsopfer be&#x017F;timmt &#x017F;ey, und belehrte mich<lb/>
von der Pflicht ohne Widerrede zu gehor-<lb/>
chen: weil es vernu&#x0364;nftig wa&#x0364;re, einen Zahn<lb/>
drum zu geben, wenn die Schmerzen des<lb/>
ganzen Ko&#x0364;rpers dadurch ko&#x0364;nnten gehoben<lb/>
werden.</p><lb/>
          <p>Mein &#x017F;chauervolles Ent&#x017F;etzen, meine Bit-<lb/>
ten und Thra&#x0364;nen &#x2014; alles &#x2014; alles das<lb/>
ru&#x0364;hrte ihn &#x017F;o wenig, daß er mir mit kaltem<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">G 2</fw><fw place="bottom" type="catch">Blute</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[99/0105] ne Rechnung nach, und rechnete geſchwind nicht nur ſeinen vieliaͤhrigen Erwerb, ſon- dern auch ſein eigenthuͤmliches Vermoͤgen und ſeinen ehrlichen Namen hinweg, daß ihm nichts uͤbrig blieb, als Schande und der Bettelſtab. Jn dieſer Verlegenheit ließ ihm der gnaͤ- dige Herr einen Vergleich anbieten. — Ach, ich Ungluͤkliche! war der Preiß, um wel- chen er alle Anforderungen an meinen Va- ter zuruͤcknehmen, und ihn bey Ehre und Gut laſſen wollte. Dieſer Vorſchlag wur- de ſehr billig gefunden, und von meinem — — unnatuͤrlichen Vater angenommen. Mit der Kaltbluͤtigkeit, mit welcher ein harther- ziger Richter einen Dieb zum Strange ver- urtheilt, entdeckte mir der Mann, der ehe- mals mein Vater geweſen war, daß ich zum Baalsopfer beſtimmt ſey, und belehrte mich von der Pflicht ohne Widerrede zu gehor- chen: weil es vernuͤnftig waͤre, einen Zahn drum zu geben, wenn die Schmerzen des ganzen Koͤrpers dadurch koͤnnten gehoben werden. Mein ſchauervolles Entſetzen, meine Bit- ten und Thraͤnen — alles — alles das ruͤhrte ihn ſo wenig, daß er mir mit kaltem Blute G 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/105
Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/105>, abgerufen am 25.11.2024.