Sie fuhr mit Entsetzen zurück, öfnete ih- ren Rosenmund, und sprach mit unaussprech- lichem Wohllaut, der meinem Ohr schmei- chelte, als ie eines Weibes Stimm' ihm ge- schmeichelt hat. -- Wie in meines Vaters Hause? -- Jch bin daraus entflohn! -- Hören Sie mich, und urtheilen Sie, ob eine Unglükliche Jhres menschenfreundlichen Schutzes und Mitleids würdig ist.
Meine Geschichte hat den Gang der all- täglichen Romane, die den Leser durch ihre Einförmigkeit ermüden. Aber was die idea- lische Welt träumt, wird in der wirklichen mit der Zeit realisirt; nur ist iene vor dieser immer um ein halbes Jahrhundert voraus; aber dennoch ihr vorgezeichneter Plan, der nach und nach ausgeführet wird.
"Sackerlot! dacht ich, wo mag das Mädchen das her haben? sie redt ia wie ein Buch."
Jch bin die Tochter eines ehemals wohl- habenden Pachters, eines Mannes, der wegen seiner Redlichkeit, seines untadelhaf- ten Wandels, und des Eifers in seinem Beruf in guter Achtung stund, so lange meine Mutter lebte. Diese verlohr ich im zwölften Jahre. Mein Vater verheyrathe-
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Sie fuhr mit Entſetzen zuruͤck, oͤfnete ih- ren Roſenmund, und ſprach mit unausſprech- lichem Wohllaut, der meinem Ohr ſchmei- chelte, als ie eines Weibes Stimm’ ihm ge- ſchmeichelt hat. — Wie in meines Vaters Hauſe? — Jch bin daraus entflohn! — Hoͤren Sie mich, und urtheilen Sie, ob eine Ungluͤkliche Jhres menſchenfreundlichen Schutzes und Mitleids wuͤrdig iſt.
Meine Geſchichte hat den Gang der all- taͤglichen Romane, die den Leſer durch ihre Einfoͤrmigkeit ermuͤden. Aber was die idea- liſche Welt traͤumt, wird in der wirklichen mit der Zeit realiſirt; nur iſt iene vor dieſer immer um ein halbes Jahrhundert voraus; aber dennoch ihr vorgezeichneter Plan, der nach und nach ausgefuͤhret wird.
„Sackerlot! dacht ich, wo mag das Maͤdchen das her haben? ſie redt ia wie ein Buch.“
Jch bin die Tochter eines ehemals wohl- habenden Pachters, eines Mannes, der wegen ſeiner Redlichkeit, ſeines untadelhaf- ten Wandels, und des Eifers in ſeinem Beruf in guter Achtung ſtund, ſo lange meine Mutter lebte. Dieſe verlohr ich im zwoͤlften Jahre. Mein Vater verheyrathe-
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Sie fuhr mit Entſetzen zuruͤck, oͤfnete ih-
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lichem Wohllaut, der meinem Ohr ſchmei-
chelte, als ie eines Weibes Stimm’ ihm ge-
ſchmeichelt hat. — Wie in meines Vaters
Hauſe? — Jch bin daraus entflohn! —
Hoͤren Sie mich, und urtheilen Sie, ob
eine Ungluͤkliche Jhres menſchenfreundlichen
Schutzes und Mitleids wuͤrdig iſt.
Meine Geſchichte hat den Gang der all-
taͤglichen Romane, die den Leſer durch ihre
Einfoͤrmigkeit ermuͤden. Aber was die idea-
liſche Welt traͤumt, wird in der wirklichen
mit der Zeit realiſirt; nur iſt iene vor dieſer
immer um ein halbes Jahrhundert voraus;
aber dennoch ihr vorgezeichneter Plan, der
nach und nach ausgefuͤhret wird.
„Sackerlot! dacht ich, wo mag das
Maͤdchen das her haben? ſie redt ia wie
ein Buch.“
Jch bin die Tochter eines ehemals wohl-
habenden Pachters, eines Mannes, der
wegen ſeiner Redlichkeit, ſeines untadelhaf-
ten Wandels, und des Eifers in ſeinem
Beruf in guter Achtung ſtund, ſo lange
meine Mutter lebte. Dieſe verlohr ich im
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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/103>, abgerufen am 16.02.2025.
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