Musäus, Johann Karl August: Grandison der Zweite, Oder Geschichte des Herrn v. N*** in Briefen entworfen. Dritter Theil. Eisenach, 1762.zu lassen. Das Frauenzimmer hat oftmals von dieser Staatsregel Gebrauch gemacht, sie sind grausam, damit sie hernach desto sanftmüthiger seyn können, und ihre Gunstbezeugungen mehrern Eindruck machen. Ich hoffe dieses auch von Ihnen, sonst würde Ihr Planete zum Lügner werden, und das wäre schade, er ist für Sie sehr vortheilhaft. Betet fleißig. Ist richtig. Man findet unter dem Frauenzimmer überhaupt weniger laulichte Personen als unter unserm Geschlecht, sie sind entweder recht andächtig, oder recht heilloß böse, und denn beten sie gar nicht. Zu der letzteren Gattung gehören Sie nicht, dafür bin ich Bürge, folglich sind Sie zu der erstern zu rechnen. Ihre selige Frau Mutter war auch eine fromme Frau, und die hat Ihnen vermuthlich ihre ganze Frömmigkeit vermacht, weil sie wußte, daß Ihnen der Vater nicht viel hinterlassen würde. Und wird gemeiniglich eine gute Haushälterin. Wohlgetroffen! Ob Sie gleich noch nicht Ihren eignen Haushalt führen, und bis jetzo bei Ihrer Frau Stiefmutter zu lassen. Das Frauenzimmer hat oftmals von dieser Staatsregel Gebrauch gemacht, sie sind grausam, damit sie hernach desto sanftmüthiger seyn können, und ihre Gunstbezeugungen mehrern Eindruck machen. Ich hoffe dieses auch von Ihnen, sonst würde Ihr Planete zum Lügner werden, und das wäre schade, er ist für Sie sehr vortheilhaft. Betet fleißig. Ist richtig. Man findet unter dem Frauenzimmer überhaupt weniger laulichte Personen als unter unserm Geschlecht, sie sind entweder recht andächtig, oder recht heilloß böse, und denn beten sie gar nicht. Zu der letzteren Gattung gehören Sie nicht, dafür bin ich Bürge, folglich sind Sie zu der erstern zu rechnen. Ihre selige Frau Mutter war auch eine fromme Frau, und die hat Ihnen vermuthlich ihre ganze Frömmigkeit vermacht, weil sie wußte, daß Ihnen der Vater nicht viel hinterlassen würde. Und wird gemeiniglich eine gute Haushälterin. Wohlgetroffen! Ob Sie gleich noch nicht Ihren eignen Haushalt führen, und bis jetzo bei Ihrer Frau Stiefmutter <TEI> <text> <body> <div type="letter" n="1"> <p><pb facs="#f0066" n="64"/> zu lassen. Das Frauenzimmer hat oftmals von dieser Staatsregel Gebrauch gemacht, sie sind grausam, damit sie hernach desto sanftmüthiger seyn können, und ihre Gunstbezeugungen mehrern Eindruck machen. Ich hoffe dieses auch von Ihnen, sonst würde Ihr Planete zum Lügner werden, und das wäre schade, er ist für Sie sehr vortheilhaft. Betet fleißig. Ist richtig. Man findet unter dem Frauenzimmer überhaupt weniger laulichte Personen als unter unserm Geschlecht, sie sind entweder recht andächtig, oder recht heilloß böse, und denn beten sie gar nicht. Zu der letzteren Gattung gehören Sie nicht, dafür bin ich Bürge, folglich sind Sie zu der erstern zu rechnen. Ihre selige Frau Mutter war auch eine fromme Frau, und die hat Ihnen vermuthlich ihre ganze Frömmigkeit vermacht, weil sie wußte, daß Ihnen der Vater nicht viel hinterlassen würde. Und wird gemeiniglich eine gute Haushälterin. Wohlgetroffen! Ob Sie gleich noch nicht Ihren eignen Haushalt führen, und bis jetzo bei Ihrer Frau Stiefmutter </p> </div> </body> </text> </TEI> [64/0066]
zu lassen. Das Frauenzimmer hat oftmals von dieser Staatsregel Gebrauch gemacht, sie sind grausam, damit sie hernach desto sanftmüthiger seyn können, und ihre Gunstbezeugungen mehrern Eindruck machen. Ich hoffe dieses auch von Ihnen, sonst würde Ihr Planete zum Lügner werden, und das wäre schade, er ist für Sie sehr vortheilhaft. Betet fleißig. Ist richtig. Man findet unter dem Frauenzimmer überhaupt weniger laulichte Personen als unter unserm Geschlecht, sie sind entweder recht andächtig, oder recht heilloß böse, und denn beten sie gar nicht. Zu der letzteren Gattung gehören Sie nicht, dafür bin ich Bürge, folglich sind Sie zu der erstern zu rechnen. Ihre selige Frau Mutter war auch eine fromme Frau, und die hat Ihnen vermuthlich ihre ganze Frömmigkeit vermacht, weil sie wußte, daß Ihnen der Vater nicht viel hinterlassen würde. Und wird gemeiniglich eine gute Haushälterin. Wohlgetroffen! Ob Sie gleich noch nicht Ihren eignen Haushalt führen, und bis jetzo bei Ihrer Frau Stiefmutter
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_grandison03_1762 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_grandison03_1762/66 |
Zitationshilfe: | Musäus, Johann Karl August: Grandison der Zweite, Oder Geschichte des Herrn v. N*** in Briefen entworfen. Dritter Theil. Eisenach, 1762, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_grandison03_1762/66>, abgerufen am 16.02.2025. |