Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Musäus, Johann Karl August: Grandison der Zweite, Oder Geschichte des Herrn v. N*** in Briefen entworfen. Dritter Theil. Eisenach, 1762.

Bild:
<< vorherige Seite

der Alten ist heutiges Tages ganz aus der Mode kommen, die Töchter sind nicht mehr so fromm oder so einfältig, daß sie ihre Liebe nach den Absichten der Mutter verschenken sollten, sie haben dieses Joch längstens abgeworfen, und seitdem sind sie so widerspänstig worden, daß sie alle diejenigen hassen, welche die Mutter sich zu Schwiegersöhnen wünschen, wenigstens lassen sie sich nicht leicht einen Liebhaber aufdringen. Sie haben in der That ein böses Spiel in Händen: die Gunst der Mutter ist verlohren, und die Gewogenheit der Tochter haben Sie nie besessen. Sie verstehen mich wohl, daß ich unter der ersten einen großen Grad der Freundschaft, und unter der andern eine wahre Zuneigung meine. Ein Mann, der weniger Herzhaftigkeit besäße als Sie, würde sich verlohren schätzen, und an eine Sache, die so entfernt ist, als der Friede, gar nicht weiter gedenken. Eine Liebe, die sich nur mit Möglichkeiten beschäftiget, gehöret unter die süßen Träume und für die Philosophen. Solche unglückliche

der Alten ist heutiges Tages ganz aus der Mode kommen, die Töchter sind nicht mehr so fromm oder so einfältig, daß sie ihre Liebe nach den Absichten der Mutter verschenken sollten, sie haben dieses Joch längstens abgeworfen, und seitdem sind sie so widerspänstig worden, daß sie alle diejenigen hassen, welche die Mutter sich zu Schwiegersöhnen wünschen, wenigstens lassen sie sich nicht leicht einen Liebhaber aufdringen. Sie haben in der That ein böses Spiel in Händen: die Gunst der Mutter ist verlohren, und die Gewogenheit der Tochter haben Sie nie besessen. Sie verstehen mich wohl, daß ich unter der ersten einen großen Grad der Freundschaft, und unter der andern eine wahre Zuneigung meine. Ein Mann, der weniger Herzhaftigkeit besäße als Sie, würde sich verlohren schätzen, und an eine Sache, die so entfernt ist, als der Friede, gar nicht weiter gedenken. Eine Liebe, die sich nur mit Möglichkeiten beschäftiget, gehöret unter die süßen Träume und für die Philosophen. Solche unglückliche

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0038" n="36"/>
der Alten ist heutiges Tages ganz aus der Mode kommen, die Töchter sind nicht mehr so fromm oder so einfältig, daß sie ihre Liebe nach den Absichten der Mutter verschenken sollten, sie haben dieses Joch längstens abgeworfen, und seitdem sind sie so widerspänstig worden, daß sie alle diejenigen hassen, welche die Mutter sich zu Schwiegersöhnen wünschen, wenigstens lassen sie sich nicht leicht einen Liebhaber aufdringen. Sie haben in der That ein böses Spiel in Händen: die Gunst der Mutter ist verlohren, und die Gewogenheit der Tochter haben Sie nie besessen. Sie verstehen mich wohl, daß ich unter der ersten einen großen Grad der Freundschaft, und unter der andern eine wahre Zuneigung meine. Ein Mann, der weniger Herzhaftigkeit besäße als Sie, würde sich verlohren schätzen, und an eine Sache, die so entfernt ist, als der Friede, gar nicht weiter gedenken. Eine Liebe, die sich nur mit Möglichkeiten beschäftiget, gehöret unter die süßen Träume und für die Philosophen. Solche unglückliche
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[36/0038] der Alten ist heutiges Tages ganz aus der Mode kommen, die Töchter sind nicht mehr so fromm oder so einfältig, daß sie ihre Liebe nach den Absichten der Mutter verschenken sollten, sie haben dieses Joch längstens abgeworfen, und seitdem sind sie so widerspänstig worden, daß sie alle diejenigen hassen, welche die Mutter sich zu Schwiegersöhnen wünschen, wenigstens lassen sie sich nicht leicht einen Liebhaber aufdringen. Sie haben in der That ein böses Spiel in Händen: die Gunst der Mutter ist verlohren, und die Gewogenheit der Tochter haben Sie nie besessen. Sie verstehen mich wohl, daß ich unter der ersten einen großen Grad der Freundschaft, und unter der andern eine wahre Zuneigung meine. Ein Mann, der weniger Herzhaftigkeit besäße als Sie, würde sich verlohren schätzen, und an eine Sache, die so entfernt ist, als der Friede, gar nicht weiter gedenken. Eine Liebe, die sich nur mit Möglichkeiten beschäftiget, gehöret unter die süßen Träume und für die Philosophen. Solche unglückliche

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-29T15:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-29T15:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-29T15:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien
  • Der Seitenumbruch erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Worttrennungen am Zeilenende entfallen.
  • Das lange „s“ („ſ“) wird als normales rundes „s“ wiedergegeben.
  • Auslassungspunkte werden, unabhängig von der Anzahl der Punkte, als „…“ (Sonderzeichen Alt+0133) wiedergegeben.
  • Apostrophe werden durch das Sonderzeichen „’“ (Alt+0146) wiedergegeben (nicht durch die Variante auf der Tastatur).
  • Bindestriche werden durch den normalen Bindestrich „-“ wiedergegeben (nicht durch „=“).
  • Gleichheitszeichen „=“ werden als normale Gedankenstriche (Halbgeviertstriche) „–“ wiedergegeben.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_grandison03_1762
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_grandison03_1762/38
Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Grandison der Zweite, Oder Geschichte des Herrn v. N*** in Briefen entworfen. Dritter Theil. Eisenach, 1762, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_grandison03_1762/38>, abgerufen am 24.11.2024.