Musäus, Johann Karl August: Grandison der Zweite, Oder Geschichte des Herrn v. N*** in Briefen entworfen. Zweiter Theil. Eisenach, 1761.Norden sehen in seinen Krug steigen. Der Cantor ließ dann und wann die große Orgelpfeife brummen, um sie an ihre Rückkehr zu erinnern; allein vergebens. Tante Kunigunde kam nach Verlauf einer halben Stunde zurück, und meldete, daß wegen eines wichtigen Zufalls die Aufführung der Cantate diesmal unterbleiben müßte. Sie sagte dieses mit einer so ängstlichen Stimme, daß der Cantor mit den weisesten seiner Adjuvanten anfing, die Köpfe zusammen zu stecken, und allerlei politische Betrachtungen hierüber anzustellen. Wigand, Jacob, Heinrich liefen unterdessen Trepp auf Trepp nieder, und trugen sich mit Degen und Pistolen. Die unverständigen Musikanten, die die Ursache dieser Bewegungen nicht einsehen konnten, verbreiteten auf einmal das furchtbare Gerüchte, der Feind wäre schon im Anmarsch. Alles gerieth darüber in Aufruhr; jeder wollte der erste bei der Thür seyn, um sich zu retten. Die Angst machte, daß man nur auf seine eigene Sicherheit dachte. Es galt hier kein Ansehen der Person. Ich schätzte mich Norden sehen in seinen Krug steigen. Der Cantor ließ dann und wann die große Orgelpfeife brummen, um sie an ihre Rückkehr zu erinnern; allein vergebens. Tante Kunigunde kam nach Verlauf einer halben Stunde zurück, und meldete, daß wegen eines wichtigen Zufalls die Aufführung der Cantate diesmal unterbleiben müßte. Sie sagte dieses mit einer so ängstlichen Stimme, daß der Cantor mit den weisesten seiner Adjuvanten anfing, die Köpfe zusammen zu stecken, und allerlei politische Betrachtungen hierüber anzustellen. Wigand, Jacob, Heinrich liefen unterdessen Trepp auf Trepp nieder, und trugen sich mit Degen und Pistolen. Die unverständigen Musikanten, die die Ursache dieser Bewegungen nicht einsehen konnten, verbreiteten auf einmal das furchtbare Gerüchte, der Feind wäre schon im Anmarsch. Alles gerieth darüber in Aufruhr; jeder wollte der erste bei der Thür seyn, um sich zu retten. Die Angst machte, daß man nur auf seine eigene Sicherheit dachte. Es galt hier kein Ansehen der Person. Ich schätzte mich <TEI> <text> <body> <div type="letter" n="1"> <p><pb facs="#f0056" n="54"/> Norden sehen in seinen Krug steigen. Der Cantor ließ dann und wann die große Orgelpfeife brummen, um sie an ihre Rückkehr zu erinnern; allein vergebens. Tante Kunigunde kam nach Verlauf einer halben Stunde zurück, und meldete, daß wegen eines wichtigen Zufalls die Aufführung der Cantate diesmal unterbleiben müßte. Sie sagte dieses mit einer so ängstlichen Stimme, daß der Cantor mit den weisesten seiner Adjuvanten anfing, die Köpfe zusammen zu stecken, und allerlei politische Betrachtungen hierüber anzustellen. Wigand, Jacob, Heinrich liefen unterdessen Trepp auf Trepp nieder, und trugen sich mit Degen und Pistolen. Die unverständigen Musikanten, die die Ursache dieser Bewegungen nicht einsehen konnten, verbreiteten auf einmal das furchtbare Gerüchte, der Feind wäre schon im Anmarsch. Alles gerieth darüber in Aufruhr; jeder wollte der erste bei der Thür seyn, um sich zu retten. Die Angst machte, daß man nur auf seine eigene Sicherheit dachte. Es galt hier kein Ansehen der Person. Ich schätzte mich </p> </div> </body> </text> </TEI> [54/0056]
Norden sehen in seinen Krug steigen. Der Cantor ließ dann und wann die große Orgelpfeife brummen, um sie an ihre Rückkehr zu erinnern; allein vergebens. Tante Kunigunde kam nach Verlauf einer halben Stunde zurück, und meldete, daß wegen eines wichtigen Zufalls die Aufführung der Cantate diesmal unterbleiben müßte. Sie sagte dieses mit einer so ängstlichen Stimme, daß der Cantor mit den weisesten seiner Adjuvanten anfing, die Köpfe zusammen zu stecken, und allerlei politische Betrachtungen hierüber anzustellen. Wigand, Jacob, Heinrich liefen unterdessen Trepp auf Trepp nieder, und trugen sich mit Degen und Pistolen. Die unverständigen Musikanten, die die Ursache dieser Bewegungen nicht einsehen konnten, verbreiteten auf einmal das furchtbare Gerüchte, der Feind wäre schon im Anmarsch. Alles gerieth darüber in Aufruhr; jeder wollte der erste bei der Thür seyn, um sich zu retten. Die Angst machte, daß man nur auf seine eigene Sicherheit dachte. Es galt hier kein Ansehen der Person. Ich schätzte mich
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-10-29T15:30:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-10-29T15:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-10-29T15:30:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |