giebt er bei ihr einen Sittenlehrer ab, ohne daß sie es merkt, nicht in der Absicht sie zu bessern, sondern sich und andern etwas dadurch zu lachen zu geben. Das war der boshafteste Einfall, den man erdenken kann, daß er sie in der gestalt der bösen westphälischen Wirthin auftreten ließ, von der er einen Haufen erzählte, und darunter niemand anders als die Frau v. W. selbst vorgestellt war. Entsetzten Sie Sich nicht über die Kühnheit des Mannes? Ich wunderte mich nur, daß die Person, die am meisten getroffen war, und die doch sonst ziemlich fein ist, nicht das geringste davon merkte. So geht es, wenn wir einmal glauben, daß jemand vortheilhaft für uns denkt, so darf er sagen was er will, er meint uns niemals und wenn er auch mit dem Finger auf uns deuten sollte. Es ist gut für den Hrn. v. Ln., daß ich nicht an der Stelle der Frau v. W. bin, ich kündigte ihm von Stund an mein Kapital auf, so schlimm wäre ich, und wenn er das Geld bei den Juden borgen sollte. Wer weiß, was noch geschiehet, wenn sie einmal
giebt er bei ihr einen Sittenlehrer ab, ohne daß sie es merkt, nicht in der Absicht sie zu bessern, sondern sich und andern etwas dadurch zu lachen zu geben. Das war der boshafteste Einfall, den man erdenken kann, daß er sie in der gestalt der bösen westphälischen Wirthin auftreten ließ, von der er einen Haufen erzählte, und darunter niemand anders als die Frau v. W. selbst vorgestellt war. Entsetzten Sie Sich nicht über die Kühnheit des Mannes? Ich wunderte mich nur, daß die Person, die am meisten getroffen war, und die doch sonst ziemlich fein ist, nicht das geringste davon merkte. So geht es, wenn wir einmal glauben, daß jemand vortheilhaft für uns denkt, so darf er sagen was er will, er meint uns niemals und wenn er auch mit dem Finger auf uns deuten sollte. Es ist gut für den Hrn. v. Ln., daß ich nicht an der Stelle der Frau v. W. bin, ich kündigte ihm von Stund an mein Kapital auf, so schlimm wäre ich, und wenn er das Geld bei den Juden borgen sollte. Wer weiß, was noch geschiehet, wenn sie einmal
<TEI><text><body><divtype="letter"n="1"><p><pbfacs="#f0239"n="237"/>
giebt er bei ihr einen Sittenlehrer ab, ohne daß sie es merkt, nicht in der Absicht sie zu bessern, sondern sich und andern etwas dadurch zu lachen zu geben. Das war der boshafteste Einfall, den man erdenken kann, daß er sie in der gestalt der bösen westphälischen Wirthin auftreten ließ, von der er einen Haufen erzählte, und darunter niemand anders als die Frau v. W. selbst vorgestellt war. Entsetzten Sie Sich nicht über die Kühnheit des Mannes? Ich wunderte mich nur, daß die Person, die am meisten getroffen war, und die doch sonst ziemlich fein ist, nicht das geringste davon merkte. So geht es, wenn wir einmal glauben, daß jemand vortheilhaft für uns denkt, so darf er sagen was er will, er meint uns niemals und wenn er auch mit dem Finger auf uns deuten sollte. Es ist gut für den Hrn. v. Ln., daß ich nicht an der Stelle der Frau v. W. bin, ich kündigte ihm von Stund an mein Kapital auf, so schlimm wäre ich, und wenn er das Geld bei den Juden borgen sollte. Wer weiß, was noch geschiehet, wenn sie einmal
</p></div></body></text></TEI>
[237/0239]
giebt er bei ihr einen Sittenlehrer ab, ohne daß sie es merkt, nicht in der Absicht sie zu bessern, sondern sich und andern etwas dadurch zu lachen zu geben. Das war der boshafteste Einfall, den man erdenken kann, daß er sie in der gestalt der bösen westphälischen Wirthin auftreten ließ, von der er einen Haufen erzählte, und darunter niemand anders als die Frau v. W. selbst vorgestellt war. Entsetzten Sie Sich nicht über die Kühnheit des Mannes? Ich wunderte mich nur, daß die Person, die am meisten getroffen war, und die doch sonst ziemlich fein ist, nicht das geringste davon merkte. So geht es, wenn wir einmal glauben, daß jemand vortheilhaft für uns denkt, so darf er sagen was er will, er meint uns niemals und wenn er auch mit dem Finger auf uns deuten sollte. Es ist gut für den Hrn. v. Ln., daß ich nicht an der Stelle der Frau v. W. bin, ich kündigte ihm von Stund an mein Kapital auf, so schlimm wäre ich, und wenn er das Geld bei den Juden borgen sollte. Wer weiß, was noch geschiehet, wenn sie einmal
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-10-29T15:30:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-10-29T15:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-10-29T15:30:31Z)
Musäus, Johann Karl August: Grandison der Zweite, Oder Geschichte des Herrn v. N*** in Briefen entworfen. Zweiter Theil. Eisenach, 1761, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_grandison02_1761/239>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.