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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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begegnen, mehrmals tief vor einander verbeugen fast bis
zur Erde hin und dann mit abgezogenen Hüten zum
Austausch höflicher Redensarten bei einander stehen
bleiben, um sich endlich wieder mit nicht weniger tiefen
und zahlreichen Verneigungen von einander zu trennen,
so würde man das einfach lächerlich finden. Wer es in
Japan sieht, vergißt über dem ästhetischen Anblick die
Lächerlichkeit. Es darf ein Deutscher sich auf dem
Parketboden noch so sehr zu Hause fühlen, so gewandt
ist er doch nicht, daß er nicht noch einen japanischen
Taglöhner um seine Kunst, sich zu verbeugen, beneiden
dürfte, und auf die wirklich graziöse Art, wie die Ja-
panerin, auch die niedrig geborene, sich bewegt, dürfte
jede deutsche Salondame stolz sein.

Auf Etikette und Anstand wird viel gehalten von
Kind auf, und in der Schule sind, für die Mädchen
wenigstens, besondere Unterrichtsstunden dafür eingeführt.
Die ganze Erziehung der japanischen Frauenwelt ist bis
vor kurzem eine vorzugsweise ästhetische gewesen: Etwas
Lesen, Schreiben und Rechnen wohl, mehr aber als das
Unterricht in den schönen Künsten, im Blumenbinden,
der Dichtkunst, der Malerei, und vor allem der Musik;
das intellektuelle Moment kommt erst in zweiter Linie
und das Ethische soll durch das Ästhetische erzielt wer-
den. Tausend Jahre bevor Schiller seine Betrachtungen
über die ästhetische Erziehung schrieb, war dieselbe in
Japan schon in Übung. Es ist demnach eine ganz ver-
kehrte Anschauung, als seien die heidnischen Völker im
gegenseitigen Verkehr roh und ungeschliffen, eine An-
schauung, die man sich aus einer Vergleichung ländlich
einfacher und städtisch formeller Höflichkeit zurecht ge-
macht hat. England und Amerika, wo das Sprichwort:
"Mit dem Hute in der Hand kommt man durch das

begegnen, mehrmals tief vor einander verbeugen faſt bis
zur Erde hin und dann mit abgezogenen Hüten zum
Austauſch höflicher Redensarten bei einander ſtehen
bleiben, um ſich endlich wieder mit nicht weniger tiefen
und zahlreichen Verneigungen von einander zu trennen,
ſo würde man das einfach lächerlich finden. Wer es in
Japan ſieht, vergißt über dem äſthetiſchen Anblick die
Lächerlichkeit. Es darf ein Deutſcher ſich auf dem
Parketboden noch ſo ſehr zu Hauſe fühlen, ſo gewandt
iſt er doch nicht, daß er nicht noch einen japaniſchen
Taglöhner um ſeine Kunſt, ſich zu verbeugen, beneiden
dürfte, und auf die wirklich graziöſe Art, wie die Ja-
panerin, auch die niedrig geborene, ſich bewegt, dürfte
jede deutſche Salondame ſtolz ſein.

Auf Etikette und Anſtand wird viel gehalten von
Kind auf, und in der Schule ſind, für die Mädchen
wenigſtens, beſondere Unterrichtsſtunden dafür eingeführt.
Die ganze Erziehung der japaniſchen Frauenwelt iſt bis
vor kurzem eine vorzugsweiſe äſthetiſche geweſen: Etwas
Leſen, Schreiben und Rechnen wohl, mehr aber als das
Unterricht in den ſchönen Künſten, im Blumenbinden,
der Dichtkunſt, der Malerei, und vor allem der Muſik;
das intellektuelle Moment kommt erſt in zweiter Linie
und das Ethiſche ſoll durch das Äſthetiſche erzielt wer-
den. Tauſend Jahre bevor Schiller ſeine Betrachtungen
über die äſthetiſche Erziehung ſchrieb, war dieſelbe in
Japan ſchon in Übung. Es iſt demnach eine ganz ver-
kehrte Anſchauung, als ſeien die heidniſchen Völker im
gegenſeitigen Verkehr roh und ungeſchliffen, eine An-
ſchauung, die man ſich aus einer Vergleichung ländlich
einfacher und ſtädtiſch formeller Höflichkeit zurecht ge-
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[79/0093] begegnen, mehrmals tief vor einander verbeugen faſt bis zur Erde hin und dann mit abgezogenen Hüten zum Austauſch höflicher Redensarten bei einander ſtehen bleiben, um ſich endlich wieder mit nicht weniger tiefen und zahlreichen Verneigungen von einander zu trennen, ſo würde man das einfach lächerlich finden. Wer es in Japan ſieht, vergißt über dem äſthetiſchen Anblick die Lächerlichkeit. Es darf ein Deutſcher ſich auf dem Parketboden noch ſo ſehr zu Hauſe fühlen, ſo gewandt iſt er doch nicht, daß er nicht noch einen japaniſchen Taglöhner um ſeine Kunſt, ſich zu verbeugen, beneiden dürfte, und auf die wirklich graziöſe Art, wie die Ja- panerin, auch die niedrig geborene, ſich bewegt, dürfte jede deutſche Salondame ſtolz ſein. Auf Etikette und Anſtand wird viel gehalten von Kind auf, und in der Schule ſind, für die Mädchen wenigſtens, beſondere Unterrichtsſtunden dafür eingeführt. Die ganze Erziehung der japaniſchen Frauenwelt iſt bis vor kurzem eine vorzugsweiſe äſthetiſche geweſen: Etwas Leſen, Schreiben und Rechnen wohl, mehr aber als das Unterricht in den ſchönen Künſten, im Blumenbinden, der Dichtkunſt, der Malerei, und vor allem der Muſik; das intellektuelle Moment kommt erſt in zweiter Linie und das Ethiſche ſoll durch das Äſthetiſche erzielt wer- den. Tauſend Jahre bevor Schiller ſeine Betrachtungen über die äſthetiſche Erziehung ſchrieb, war dieſelbe in Japan ſchon in Übung. Es iſt demnach eine ganz ver- kehrte Anſchauung, als ſeien die heidniſchen Völker im gegenſeitigen Verkehr roh und ungeſchliffen, eine An- ſchauung, die man ſich aus einer Vergleichung ländlich einfacher und ſtädtiſch formeller Höflichkeit zurecht ge- macht hat. England und Amerika, wo das Sprichwort: „Mit dem Hute in der Hand kommt man durch das

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/93>, abgerufen am 24.11.2024.