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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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den Früchten unserer Wissenschaft; auch das Staats-
wesen, das Gerichtswesen, das Militärwesen, das Schul-
wesen, die ganze Staatsmaschine nehmen sie von Europa
hinüber, und -- es ist erstaunlich -- die Maschine geht.

In all dem haben sich die Japaner von jeher als
hervorragend gelehrig erwiesen. Die meisten Völker haben
sich selbst gegen die Segnungen einer neuen Kultur hart-
näckig verschlossen, bis ihnen dieselben schließlich auf-
gezwungen wurden; dafür ist China das klassische, aber
bei weitem nicht vereinzelte Beispiel; die Japaner aber
haben sich von jeher für das Bessere zugänglich erwiesen.
Haben sie auch selbst keine großen, originalen Gedanken
gehabt, so hatten sie für dieselben doch immer ein weites
Herz und soweit sie nach ihrer, allerdings stark beschrän-
kenden, geistigen Veranlagung dazu imstande waren,
haben sie versucht, sich dieselben anzueignen. Sklavische
Nachahmer und Nachbeter sind sie nie gewesen. Was
sie übernahmen, war auch bald japanisch. Sie haben
es immer in harmonischen Einklang mit der Umge-
bung gebracht. Es ist nicht so, als hätte man die
Kinder einer fremden Welt einfach in japanische Kleider
gesteckt; sie haben vielmehr japanische Gesichtszüge be-
kommen. Der Japaner ist bei allem Mangel an Origi-
nalität doch eine sehr ausgeprägte Individualität, welche
auf die Dauer das Fremde als Fremdes nicht erträgt.
So hat er allerdings nicht zu japanisieren verstanden,
wie wir das palästinensisch-griechisch-römische Christen-
tum germanisiert haben, wo kein einziger Wahrheits-
punkt verloren ging und jeder einzelne durchleuchtet ward
von dem besonderen Licht deutschen Geistes. Das Japani-
sieren ist ein radikaler Prozeß, dabei sehr wenig gebogen,
aber vieles gebrochen wird, dabei man beständig das
Messer in der Hand hat, um all das hinwegzuschneiden,

den Früchten unſerer Wiſſenſchaft; auch das Staats-
weſen, das Gerichtsweſen, das Militärweſen, das Schul-
weſen, die ganze Staatsmaſchine nehmen ſie von Europa
hinüber, und — es iſt erſtaunlich — die Maſchine geht.

In all dem haben ſich die Japaner von jeher als
hervorragend gelehrig erwieſen. Die meiſten Völker haben
ſich ſelbſt gegen die Segnungen einer neuen Kultur hart-
näckig verſchloſſen, bis ihnen dieſelben ſchließlich auf-
gezwungen wurden; dafür iſt China das klaſſiſche, aber
bei weitem nicht vereinzelte Beiſpiel; die Japaner aber
haben ſich von jeher für das Beſſere zugänglich erwieſen.
Haben ſie auch ſelbſt keine großen, originalen Gedanken
gehabt, ſo hatten ſie für dieſelben doch immer ein weites
Herz und ſoweit ſie nach ihrer, allerdings ſtark beſchrän-
kenden, geiſtigen Veranlagung dazu imſtande waren,
haben ſie verſucht, ſich dieſelben anzueignen. Sklaviſche
Nachahmer und Nachbeter ſind ſie nie geweſen. Was
ſie übernahmen, war auch bald japaniſch. Sie haben
es immer in harmoniſchen Einklang mit der Umge-
bung gebracht. Es iſt nicht ſo, als hätte man die
Kinder einer fremden Welt einfach in japaniſche Kleider
geſteckt; ſie haben vielmehr japaniſche Geſichtszüge be-
kommen. Der Japaner iſt bei allem Mangel an Origi-
nalität doch eine ſehr ausgeprägte Individualität, welche
auf die Dauer das Fremde als Fremdes nicht erträgt.
So hat er allerdings nicht zu japaniſieren verſtanden,
wie wir das paläſtinenſiſch-griechiſch-römiſche Chriſten-
tum germaniſiert haben, wo kein einziger Wahrheits-
punkt verloren ging und jeder einzelne durchleuchtet ward
von dem beſonderen Licht deutſchen Geiſtes. Das Japani-
ſieren iſt ein radikaler Prozeß, dabei ſehr wenig gebogen,
aber vieles gebrochen wird, dabei man beſtändig das
Meſſer in der Hand hat, um all das hinwegzuſchneiden,

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[69/0083] den Früchten unſerer Wiſſenſchaft; auch das Staats- weſen, das Gerichtsweſen, das Militärweſen, das Schul- weſen, die ganze Staatsmaſchine nehmen ſie von Europa hinüber, und — es iſt erſtaunlich — die Maſchine geht. In all dem haben ſich die Japaner von jeher als hervorragend gelehrig erwieſen. Die meiſten Völker haben ſich ſelbſt gegen die Segnungen einer neuen Kultur hart- näckig verſchloſſen, bis ihnen dieſelben ſchließlich auf- gezwungen wurden; dafür iſt China das klaſſiſche, aber bei weitem nicht vereinzelte Beiſpiel; die Japaner aber haben ſich von jeher für das Beſſere zugänglich erwieſen. Haben ſie auch ſelbſt keine großen, originalen Gedanken gehabt, ſo hatten ſie für dieſelben doch immer ein weites Herz und ſoweit ſie nach ihrer, allerdings ſtark beſchrän- kenden, geiſtigen Veranlagung dazu imſtande waren, haben ſie verſucht, ſich dieſelben anzueignen. Sklaviſche Nachahmer und Nachbeter ſind ſie nie geweſen. Was ſie übernahmen, war auch bald japaniſch. Sie haben es immer in harmoniſchen Einklang mit der Umge- bung gebracht. Es iſt nicht ſo, als hätte man die Kinder einer fremden Welt einfach in japaniſche Kleider geſteckt; ſie haben vielmehr japaniſche Geſichtszüge be- kommen. Der Japaner iſt bei allem Mangel an Origi- nalität doch eine ſehr ausgeprägte Individualität, welche auf die Dauer das Fremde als Fremdes nicht erträgt. So hat er allerdings nicht zu japaniſieren verſtanden, wie wir das paläſtinenſiſch-griechiſch-römiſche Chriſten- tum germaniſiert haben, wo kein einziger Wahrheits- punkt verloren ging und jeder einzelne durchleuchtet ward von dem beſonderen Licht deutſchen Geiſtes. Das Japani- ſieren iſt ein radikaler Prozeß, dabei ſehr wenig gebogen, aber vieles gebrochen wird, dabei man beſtändig das Meſſer in der Hand hat, um all das hinwegzuſchneiden,

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/83>, abgerufen am 27.11.2024.