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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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Anprobieren. Macht man in einem japanischen Hause
Besuch, so ist das erste nicht den Hut abzunehmen,
sondern die Schuhe auszuziehen. Weiße Kleider, nicht
schwarze, sind die Zeichen der Trauer, und bei einem
Leichenbegängnis wird fast mehr gelacht als geweint.

Sehen wir hinein in das Geistesleben des Japaners,
so zeigt sich uns hier dasselbe antipodische Verhältnis.
Schon ein oberflächlicher Blick auf die mechanischen
Äußerungen des Geisteslebens, z. B. auf Lesen und
Schreiben, bestätigt das. Zwar das ginge ja wohl noch
an, daß man nicht vorn auf der ersten Seite beginnt,
sondern hinten auf der letzten, daß man nicht von links
nach rechts liest und schreibt, sondern von rechts nach
links. Das ist im Hebräischen und Arabischen auch nicht
anders. Was uns vielmehr am meisten auffällt, ist der
Umstand, daß man nicht wagerecht über das Blatt hin
liest und schreibt, sondern senkrecht von oben nach unten.
Es ist ja freilich alles, wie man es gewohnt ist; der
Japaner findet unsere Art des Schreibens zum Lachen
sonderbar. Kanimoji, Krabbenschrift, nennt er in seiner
anschaulichen Art mit witzigem Spott unsere Schreib-
weise, weil sie quer läuft wie die Krabbe. Ihm kommen
unsere geradeliegenden Augen nicht minder merkwürdig
vor wie uns seine Schlitzaugen, und mancher japanische
Kuli mag bei dem Anblick der Lebensgewohnheiten des
deutschen Professors, bei dem er in Dienst steht, zwei-
felnd den Kopf schütteln in dem stillen Gedanken: Je
gelehrter, je verkehrter.

Aber auch im innern Leben des Geistes liegt das
gegensätzliche Verhältnis klar zu Tage. Die Denkformen
sind hier und dort verschieden. Die Untersuchung über
die Sprache hat uns den japanischen Geist schon in leichten
Umrissen angedeutet: Ein noch unentwickelter, aber ge-

Anprobieren. Macht man in einem japaniſchen Hauſe
Beſuch, ſo iſt das erſte nicht den Hut abzunehmen,
ſondern die Schuhe auszuziehen. Weiße Kleider, nicht
ſchwarze, ſind die Zeichen der Trauer, und bei einem
Leichenbegängnis wird faſt mehr gelacht als geweint.

Sehen wir hinein in das Geiſtesleben des Japaners,
ſo zeigt ſich uns hier dasſelbe antipodiſche Verhältnis.
Schon ein oberflächlicher Blick auf die mechaniſchen
Äußerungen des Geiſteslebens, z. B. auf Leſen und
Schreiben, beſtätigt das. Zwar das ginge ja wohl noch
an, daß man nicht vorn auf der erſten Seite beginnt,
ſondern hinten auf der letzten, daß man nicht von links
nach rechts lieſt und ſchreibt, ſondern von rechts nach
links. Das iſt im Hebräiſchen und Arabiſchen auch nicht
anders. Was uns vielmehr am meiſten auffällt, iſt der
Umſtand, daß man nicht wagerecht über das Blatt hin
lieſt und ſchreibt, ſondern ſenkrecht von oben nach unten.
Es iſt ja freilich alles, wie man es gewohnt iſt; der
Japaner findet unſere Art des Schreibens zum Lachen
ſonderbar. Kanimoji, Krabbenſchrift, nennt er in ſeiner
anſchaulichen Art mit witzigem Spott unſere Schreib-
weiſe, weil ſie quer läuft wie die Krabbe. Ihm kommen
unſere geradeliegenden Augen nicht minder merkwürdig
vor wie uns ſeine Schlitzaugen, und mancher japaniſche
Kuli mag bei dem Anblick der Lebensgewohnheiten des
deutſchen Profeſſors, bei dem er in Dienſt ſteht, zwei-
felnd den Kopf ſchütteln in dem ſtillen Gedanken: Je
gelehrter, je verkehrter.

Aber auch im innern Leben des Geiſtes liegt das
gegenſätzliche Verhältnis klar zu Tage. Die Denkformen
ſind hier und dort verſchieden. Die Unterſuchung über
die Sprache hat uns den japaniſchen Geiſt ſchon in leichten
Umriſſen angedeutet: Ein noch unentwickelter, aber ge-

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[63/0077] Anprobieren. Macht man in einem japaniſchen Hauſe Beſuch, ſo iſt das erſte nicht den Hut abzunehmen, ſondern die Schuhe auszuziehen. Weiße Kleider, nicht ſchwarze, ſind die Zeichen der Trauer, und bei einem Leichenbegängnis wird faſt mehr gelacht als geweint. Sehen wir hinein in das Geiſtesleben des Japaners, ſo zeigt ſich uns hier dasſelbe antipodiſche Verhältnis. Schon ein oberflächlicher Blick auf die mechaniſchen Äußerungen des Geiſteslebens, z. B. auf Leſen und Schreiben, beſtätigt das. Zwar das ginge ja wohl noch an, daß man nicht vorn auf der erſten Seite beginnt, ſondern hinten auf der letzten, daß man nicht von links nach rechts lieſt und ſchreibt, ſondern von rechts nach links. Das iſt im Hebräiſchen und Arabiſchen auch nicht anders. Was uns vielmehr am meiſten auffällt, iſt der Umſtand, daß man nicht wagerecht über das Blatt hin lieſt und ſchreibt, ſondern ſenkrecht von oben nach unten. Es iſt ja freilich alles, wie man es gewohnt iſt; der Japaner findet unſere Art des Schreibens zum Lachen ſonderbar. Kanimoji, Krabbenſchrift, nennt er in ſeiner anſchaulichen Art mit witzigem Spott unſere Schreib- weiſe, weil ſie quer läuft wie die Krabbe. Ihm kommen unſere geradeliegenden Augen nicht minder merkwürdig vor wie uns ſeine Schlitzaugen, und mancher japaniſche Kuli mag bei dem Anblick der Lebensgewohnheiten des deutſchen Profeſſors, bei dem er in Dienſt ſteht, zwei- felnd den Kopf ſchütteln in dem ſtillen Gedanken: Je gelehrter, je verkehrter. Aber auch im innern Leben des Geiſtes liegt das gegenſätzliche Verhältnis klar zu Tage. Die Denkformen ſind hier und dort verſchieden. Die Unterſuchung über die Sprache hat uns den japaniſchen Geiſt ſchon in leichten Umriſſen angedeutet: Ein noch unentwickelter, aber ge-

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/77>, abgerufen am 23.11.2024.