und Jahre für Jüngling, Punkt über dem Strich für oben, Punkt unter dem Strich für unten, Berg, auf und ab für Paß i. e. Bergpaß. Auch kul- turhistorisch sind manche Zeichen von großer Bedeu- tung. So schreibt man für Himmel eins und groß, also das große Eine und das stimmt genau mit der alten chinesischen Naturreligion überein, die den Himmel als höchste Gottheit verehrte. Drei Frauen unter einem Dach bedeutet Zank, Hader, Eifersucht und das Zeichen läßt mit Bestimmtheit darauf schließen, daß die alten Chinesen Polygamisten waren; eine Frau unter einem Dach dagegen bedeutet Stille, Ruhe, Friede; also haben schon die alten Chinesen gewußt, daß, wer Ruhe im Hause haben wolle, nur eine Frau sich anschaffen dürfe.
Man wird verstehen, daß die chinesische Schrift neben großer Umständlichkeit auch außerordentliche Bequemlich- keiten bietet, vor allem aber, daß ein Geist, welcher geneigt ist, mehr als wir unmittelbar auf der Grund- lage der sinnlichen Anschauung zu denken, freiwillig nicht auf ein seiner Denkweise so entsprechendes System ver- zichtet, und daß er nicht eher davon abgehen wird, als bis eine eiserne Notwendigkeit ihn dazu zwingt. In- wieweit aber da die völlige Unmöglichkeit, für die Un- masse neu eindringender Worte und Begriffe chinesische Charaktere zu schaffen, den jetzigen Stand des Schrift- systems beeinflussen wird, muß die Zukunft lehren. Jedenfalls wird man sich dem Bewußtsein jener Unmög- lichkeit nicht lange mehr verschließen können. Gerade je komplizierter man gegenwärtig noch die Schriftsprache gestaltet durch das Bemühen, die neue Kultur in chinesische Zeichen zu pressen, um so elementarer wird das Bewußt- sein von der Unmöglichkeit einst hervorbrechen. Auch diese Sorte neuen Weines verträgt keine Füllung in
und Jahre für Jüngling, Punkt über dem Strich für oben, Punkt unter dem Strich für unten, Berg, auf und ab für Paß i. e. Bergpaß. Auch kul- turhiſtoriſch ſind manche Zeichen von großer Bedeu- tung. So ſchreibt man für Himmel eins und groß, alſo das große Eine und das ſtimmt genau mit der alten chineſiſchen Naturreligion überein, die den Himmel als höchſte Gottheit verehrte. Drei Frauen unter einem Dach bedeutet Zank, Hader, Eiferſucht und das Zeichen läßt mit Beſtimmtheit darauf ſchließen, daß die alten Chineſen Polygamiſten waren; eine Frau unter einem Dach dagegen bedeutet Stille, Ruhe, Friede; alſo haben ſchon die alten Chineſen gewußt, daß, wer Ruhe im Hauſe haben wolle, nur eine Frau ſich anſchaffen dürfe.
Man wird verſtehen, daß die chineſiſche Schrift neben großer Umſtändlichkeit auch außerordentliche Bequemlich- keiten bietet, vor allem aber, daß ein Geiſt, welcher geneigt iſt, mehr als wir unmittelbar auf der Grund- lage der ſinnlichen Anſchauung zu denken, freiwillig nicht auf ein ſeiner Denkweiſe ſo entſprechendes Syſtem ver- zichtet, und daß er nicht eher davon abgehen wird, als bis eine eiſerne Notwendigkeit ihn dazu zwingt. In- wieweit aber da die völlige Unmöglichkeit, für die Un- maſſe neu eindringender Worte und Begriffe chineſiſche Charaktere zu ſchaffen, den jetzigen Stand des Schrift- ſyſtems beeinfluſſen wird, muß die Zukunft lehren. Jedenfalls wird man ſich dem Bewußtſein jener Unmög- lichkeit nicht lange mehr verſchließen können. Gerade je komplizierter man gegenwärtig noch die Schriftſprache geſtaltet durch das Bemühen, die neue Kultur in chineſiſche Zeichen zu preſſen, um ſo elementarer wird das Bewußt- ſein von der Unmöglichkeit einſt hervorbrechen. Auch dieſe Sorte neuen Weines verträgt keine Füllung in
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und Jahre für Jüngling, Punkt über dem Strich
für oben, Punkt unter dem Strich für unten, Berg,
auf und ab für Paß i. e. Bergpaß. Auch kul-
turhiſtoriſch ſind manche Zeichen von großer Bedeu-
tung. So ſchreibt man für Himmel eins und groß,
alſo das große Eine und das ſtimmt genau mit der
alten chineſiſchen Naturreligion überein, die den Himmel
als höchſte Gottheit verehrte. Drei Frauen unter einem
Dach bedeutet Zank, Hader, Eiferſucht und das Zeichen
läßt mit Beſtimmtheit darauf ſchließen, daß die alten
Chineſen Polygamiſten waren; eine Frau unter einem
Dach dagegen bedeutet Stille, Ruhe, Friede; alſo haben
ſchon die alten Chineſen gewußt, daß, wer Ruhe im
Hauſe haben wolle, nur eine Frau ſich anſchaffen dürfe.
Man wird verſtehen, daß die chineſiſche Schrift neben
großer Umſtändlichkeit auch außerordentliche Bequemlich-
keiten bietet, vor allem aber, daß ein Geiſt, welcher
geneigt iſt, mehr als wir unmittelbar auf der Grund-
lage der ſinnlichen Anſchauung zu denken, freiwillig nicht
auf ein ſeiner Denkweiſe ſo entſprechendes Syſtem ver-
zichtet, und daß er nicht eher davon abgehen wird, als
bis eine eiſerne Notwendigkeit ihn dazu zwingt. In-
wieweit aber da die völlige Unmöglichkeit, für die Un-
maſſe neu eindringender Worte und Begriffe chineſiſche
Charaktere zu ſchaffen, den jetzigen Stand des Schrift-
ſyſtems beeinfluſſen wird, muß die Zukunft lehren.
Jedenfalls wird man ſich dem Bewußtſein jener Unmög-
lichkeit nicht lange mehr verſchließen können. Gerade
je komplizierter man gegenwärtig noch die Schriftſprache
geſtaltet durch das Bemühen, die neue Kultur in chineſiſche
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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/74>, abgerufen am 24.11.2024.
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