müssen, ehe man die Bedeutung des Satzes in gutem Deutsch erfahren kann: "Ich halte Schweigen für besser als gedankenloses Reden". Der Japaner denkt und spricht umgekehrt wie wir. "Die Ohren der Katze" (1, 2, 3, 4) wird in seinem Munde gerade umgekehrt "Katze der Ohren die" "neko no mimi wa" (4, 3, 2, 1); "auf dem Tische" (1, 2, 3) wird umgekehrt "Tisch dem auf" "tsukue no ue" (3, 2, 1). Der Genitiv kommt stets vor dem Hauptwort, von dem er abhängig ist, das indirekte Objekt vor dem direkten, das Adverb vor dem Prädikat. Präpositionen werden zu Postpositionen, Kon- junktionen treten hinter den durch sie bestimmten Satz, das Hilfszeitwort hinter das Zeitwort. Die Wort- stellung ist genau bestimmt. Versehen klingen dem japanischen Ohr komisch.
Das Wichtigste kommt immer hinten nach, die letzte Stelle im Satz ist von größter Bedeutung und gehört darum dem Verbum. Ehe das Verbum kommt, weiß man nicht, woran man ist, der Satz nimmt die Aufmerksamkeit in Anspruch bis zum letzten Wort, da bis zum letzten Wort das in der Schwebe bleibt, um was es sich eigentlich handelt.
Wer sich einigermaßen mit der japanischen Wort- stellung vertraut gemacht hat, kann nicht umhin, ihre Vorzüglichkeit tief zu empfinden. Es ist ein harmonischer Aufbau, welchen man vor sich hat. Der letzte Teil, zumal das Verbum, erscheint wie ein Feldherr, welcher hinter den wohlaufgestellten Truppen steht und von dort aus alles übersieht und leitet, während in andern Sprachen oft alles durcheinander zu gehen scheint und eine eigentliche kontrollierende Macht nicht vorhanden ist.
Genau dasselbe Prinzip, welches die Wortstellung beherrscht, macht sich auch in der Satzstellung geltend;
müſſen, ehe man die Bedeutung des Satzes in gutem Deutſch erfahren kann: „Ich halte Schweigen für beſſer als gedankenloſes Reden“. Der Japaner denkt und ſpricht umgekehrt wie wir. „Die Ohren der Katze“ (1, 2, 3, 4) wird in ſeinem Munde gerade umgekehrt „Katze der Ohren die“ „neko no mimi wa“ (4, 3, 2, 1); „auf dem Tiſche“ (1, 2, 3) wird umgekehrt „Tiſch dem auf“ „tsukue no ue“ (3, 2, 1). Der Genitiv kommt ſtets vor dem Hauptwort, von dem er abhängig iſt, das indirekte Objekt vor dem direkten, das Adverb vor dem Prädikat. Präpoſitionen werden zu Poſtpoſitionen, Kon- junktionen treten hinter den durch ſie beſtimmten Satz, das Hilfszeitwort hinter das Zeitwort. Die Wort- ſtellung iſt genau beſtimmt. Verſehen klingen dem japaniſchen Ohr komiſch.
Das Wichtigſte kommt immer hinten nach, die letzte Stelle im Satz iſt von größter Bedeutung und gehört darum dem Verbum. Ehe das Verbum kommt, weiß man nicht, woran man iſt, der Satz nimmt die Aufmerkſamkeit in Anſpruch bis zum letzten Wort, da bis zum letzten Wort das in der Schwebe bleibt, um was es ſich eigentlich handelt.
Wer ſich einigermaßen mit der japaniſchen Wort- ſtellung vertraut gemacht hat, kann nicht umhin, ihre Vorzüglichkeit tief zu empfinden. Es iſt ein harmoniſcher Aufbau, welchen man vor ſich hat. Der letzte Teil, zumal das Verbum, erſcheint wie ein Feldherr, welcher hinter den wohlaufgeſtellten Truppen ſteht und von dort aus alles überſieht und leitet, während in andern Sprachen oft alles durcheinander zu gehen ſcheint und eine eigentliche kontrollierende Macht nicht vorhanden iſt.
Genau dasſelbe Prinzip, welches die Wortſtellung beherrſcht, macht ſich auch in der Satzſtellung geltend;
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ſpricht umgekehrt wie wir. „Die Ohren der Katze“
(1, 2, 3, 4) wird in ſeinem Munde gerade umgekehrt
„Katze der Ohren die“ „neko no mimi wa“ (4, 3, 2, 1);
„auf dem Tiſche“ (1, 2, 3) wird umgekehrt „Tiſch dem
auf“ „tsukue no ue“ (3, 2, 1). Der Genitiv kommt
ſtets vor dem Hauptwort, von dem er abhängig iſt, das
indirekte Objekt vor dem direkten, das Adverb vor dem
Prädikat. Präpoſitionen werden zu Poſtpoſitionen, Kon-
junktionen treten hinter den durch ſie beſtimmten Satz,
das Hilfszeitwort hinter das Zeitwort. Die Wort-
ſtellung iſt genau beſtimmt. Verſehen klingen dem
japaniſchen Ohr komiſch.
Das Wichtigſte kommt immer hinten nach, die
letzte Stelle im Satz iſt von größter Bedeutung und
gehört darum dem Verbum. Ehe das Verbum kommt,
weiß man nicht, woran man iſt, der Satz nimmt die
Aufmerkſamkeit in Anſpruch bis zum letzten Wort, da
bis zum letzten Wort das in der Schwebe bleibt, um
was es ſich eigentlich handelt.
Wer ſich einigermaßen mit der japaniſchen Wort-
ſtellung vertraut gemacht hat, kann nicht umhin, ihre
Vorzüglichkeit tief zu empfinden. Es iſt ein harmoniſcher
Aufbau, welchen man vor ſich hat. Der letzte Teil,
zumal das Verbum, erſcheint wie ein Feldherr, welcher
hinter den wohlaufgeſtellten Truppen ſteht und von dort
aus alles überſieht und leitet, während in andern
Sprachen oft alles durcheinander zu gehen ſcheint und
eine eigentliche kontrollierende Macht nicht vorhanden iſt.
Genau dasſelbe Prinzip, welches die Wortſtellung
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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/69>, abgerufen am 24.11.2024.
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