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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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ständnis nicht zu befürchten ist; dies gilt insbesondere
von negativen Antworten auf vorhergehende Fragen.
Die Vergangenheit hat es mit Erinnerungsbildern einer
objektiv erfahrenen Wirklichkeit zu thun. Beide, Gegen-
wart und Vergangenheit, haben realen festen Boden unter
sich, und wenn eine der beiden fehlte, so würde das dem
Geist der japanischen Sprache durchaus widersprechen.

Die Zukunft dagegen hat es mit Nichtwirklichem
zu thun; die Zukunft ist ein unbekanntes dunkles Land,
wo der Fuß keinen festen Halt zum Stehen findet, wo
die Hand anstatt greifbarer Wirklichkeit verfließenden
Nebel zu fassen bekommt und das Auge nichts klar und
deutlich zu erkennen vermag. Wenn es dem konkreten,
realen Sinn des Japaners widerstrebt, sich in einem
solchen Lande heimisch zu machen, so können wir uns
darüber nicht groß wundern, da es mit seinen übrigen
Neigungen durchaus im Einklang steht. Etwas, was
er als wirklich kennt, kann er negieren und er thut es
im Negativum. Wo aber von vornherein nichts der
Art vorhanden ist wie bei der Zukunft, fehlt ihm der
Ausdruck. Hier tritt nun vermöge seiner Auffassung
und überhaupt nach der Auffassung des primitiven
Geistes, welcher die Zukunft als etwas Unbestimmtes,
Fließendes und Ungewisses erfaßt, die Form der Un-
bestimmtheit oder disjunktive Form oft da ein, wo wir
in unsern Sprachen das Futurum setzen. Daß das
Futurum dem Naturmenschen mit seinem konkreten Sinn
überhaupt ferne liegt, sehen wir noch sehr klar und
deutlich in unsern Dialekten, besonders bei der länd-
lichen Bevölkerung, deren Ausdrucksweise mit der japa-
nischen in der Sache große Ähnlichkeit hat. Denn bei
bestimmter Zukunft gebraucht der Bauer stets die Form
der Gegenwart, wie der Japaner seinerseits thun muß;

ſtändnis nicht zu befürchten iſt; dies gilt insbeſondere
von negativen Antworten auf vorhergehende Fragen.
Die Vergangenheit hat es mit Erinnerungsbildern einer
objektiv erfahrenen Wirklichkeit zu thun. Beide, Gegen-
wart und Vergangenheit, haben realen feſten Boden unter
ſich, und wenn eine der beiden fehlte, ſo würde das dem
Geiſt der japaniſchen Sprache durchaus widerſprechen.

Die Zukunft dagegen hat es mit Nichtwirklichem
zu thun; die Zukunft iſt ein unbekanntes dunkles Land,
wo der Fuß keinen feſten Halt zum Stehen findet, wo
die Hand anſtatt greifbarer Wirklichkeit verfließenden
Nebel zu faſſen bekommt und das Auge nichts klar und
deutlich zu erkennen vermag. Wenn es dem konkreten,
realen Sinn des Japaners widerſtrebt, ſich in einem
ſolchen Lande heimiſch zu machen, ſo können wir uns
darüber nicht groß wundern, da es mit ſeinen übrigen
Neigungen durchaus im Einklang ſteht. Etwas, was
er als wirklich kennt, kann er negieren und er thut es
im Negativum. Wo aber von vornherein nichts der
Art vorhanden iſt wie bei der Zukunft, fehlt ihm der
Ausdruck. Hier tritt nun vermöge ſeiner Auffaſſung
und überhaupt nach der Auffaſſung des primitiven
Geiſtes, welcher die Zukunft als etwas Unbeſtimmtes,
Fließendes und Ungewiſſes erfaßt, die Form der Un-
beſtimmtheit oder disjunktive Form oft da ein, wo wir
in unſern Sprachen das Futurum ſetzen. Daß das
Futurum dem Naturmenſchen mit ſeinem konkreten Sinn
überhaupt ferne liegt, ſehen wir noch ſehr klar und
deutlich in unſern Dialekten, beſonders bei der länd-
lichen Bevölkerung, deren Ausdrucksweiſe mit der japa-
niſchen in der Sache große Ähnlichkeit hat. Denn bei
beſtimmter Zukunft gebraucht der Bauer ſtets die Form
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[50/0064] ſtändnis nicht zu befürchten iſt; dies gilt insbeſondere von negativen Antworten auf vorhergehende Fragen. Die Vergangenheit hat es mit Erinnerungsbildern einer objektiv erfahrenen Wirklichkeit zu thun. Beide, Gegen- wart und Vergangenheit, haben realen feſten Boden unter ſich, und wenn eine der beiden fehlte, ſo würde das dem Geiſt der japaniſchen Sprache durchaus widerſprechen. Die Zukunft dagegen hat es mit Nichtwirklichem zu thun; die Zukunft iſt ein unbekanntes dunkles Land, wo der Fuß keinen feſten Halt zum Stehen findet, wo die Hand anſtatt greifbarer Wirklichkeit verfließenden Nebel zu faſſen bekommt und das Auge nichts klar und deutlich zu erkennen vermag. Wenn es dem konkreten, realen Sinn des Japaners widerſtrebt, ſich in einem ſolchen Lande heimiſch zu machen, ſo können wir uns darüber nicht groß wundern, da es mit ſeinen übrigen Neigungen durchaus im Einklang ſteht. Etwas, was er als wirklich kennt, kann er negieren und er thut es im Negativum. Wo aber von vornherein nichts der Art vorhanden iſt wie bei der Zukunft, fehlt ihm der Ausdruck. Hier tritt nun vermöge ſeiner Auffaſſung und überhaupt nach der Auffaſſung des primitiven Geiſtes, welcher die Zukunft als etwas Unbeſtimmtes, Fließendes und Ungewiſſes erfaßt, die Form der Un- beſtimmtheit oder disjunktive Form oft da ein, wo wir in unſern Sprachen das Futurum ſetzen. Daß das Futurum dem Naturmenſchen mit ſeinem konkreten Sinn überhaupt ferne liegt, ſehen wir noch ſehr klar und deutlich in unſern Dialekten, beſonders bei der länd- lichen Bevölkerung, deren Ausdrucksweiſe mit der japa- niſchen in der Sache große Ähnlichkeit hat. Denn bei beſtimmter Zukunft gebraucht der Bauer ſtets die Form der Gegenwart, wie der Japaner ſeinerſeits thun muß;

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/64>, abgerufen am 24.11.2024.