angeschaut und in dem weitgeöffneten Auge stand deut- lich zu lesen: "Ich habe Sie nicht verstanden? Was meinen Sie?" Die deutsche Frage mit "welche" oder "was für eine" ist zu abstrakt und unbestimmt. Der Japaner fragt: "Doko no gakko ye irasshaimasu ka?" oder "nan to iu gakko ye irrasshaimasu ka?"; er fragt also ganz bestimmt nach dem Ort oder nach dem Namen der Schule. So würde man auch nicht fragen: "Aus welcher Gegend sind Sie? Welches ist Ihre Heimat?", sondern ganz bestimmt: "Wo ist Ihr Land?" "Anata wa doko no kuni desu ka?" oder "O kuni wa doko de gozaimasu ka?"
Wie mit dem Ort, so inbezug auf die Zeit. So würde eine wörtliche Übersetzung von: "Welches ist das Geburtsjahr Luthers?" japanisch unverständlich sein. Der Japaner will direkt wissen, um welchen Gegenstand es sich handelt, und da es sich hier nicht um irgend ein unbestimmtes "welches" dreht, sondern ganz klar und deutlich um eine Zeitbestimmung, so gebraucht er nicht das unbestimmte Fragepronomen, sondern das bestimmte Zeitpronomen; er sagt also: "Luther wa itsu umaremashita ka?" oder noch logischer: "Luther no umareta toshi wa itsu desu ka?"
Der Unterschied der deutschen und japanischen Aus- drucksweise ist nicht auf räumliche und zeitliche Ver- hältnisse beschränkt. Nehmen wir ein Beispiel, welches auf einem ganz andern Gebiet liegt, z. B.: "Was ist Herr Mayeda?" Die wörtliche Übersetzung: "Maye- dasan wa nan desu ka?" würde nicht verstanden werden. Der Japaner sagt: "Was thut (treibt) Herr Mayeda?" "Mayedasan wa nani wo suru hito desu ka?" Bei dem Unterricht mit Kindern gilt bei uns in Europa der katechetische Grundsatz, die Fragen, dem Verständnis des
angeſchaut und in dem weitgeöffneten Auge ſtand deut- lich zu leſen: „Ich habe Sie nicht verſtanden? Was meinen Sie?“ Die deutſche Frage mit „welche“ oder „was für eine“ iſt zu abſtrakt und unbeſtimmt. Der Japaner fragt: „Doko no gakkō ye irasshaimasu ka?“ oder „nan to iu gakkō ye irrasshaimasu ka?“; er fragt alſo ganz beſtimmt nach dem Ort oder nach dem Namen der Schule. So würde man auch nicht fragen: „Aus welcher Gegend ſind Sie? Welches iſt Ihre Heimat?“, ſondern ganz beſtimmt: „Wo iſt Ihr Land?“ „Anata wa doko no kuni desu ka?“ oder „O kuni wa doko de gozaimasu ka?“
Wie mit dem Ort, ſo inbezug auf die Zeit. So würde eine wörtliche Überſetzung von: „Welches iſt das Geburtsjahr Luthers?“ japaniſch unverſtändlich ſein. Der Japaner will direkt wiſſen, um welchen Gegenſtand es ſich handelt, und da es ſich hier nicht um irgend ein unbeſtimmtes „welches“ dreht, ſondern ganz klar und deutlich um eine Zeitbeſtimmung, ſo gebraucht er nicht das unbeſtimmte Fragepronomen, ſondern das beſtimmte Zeitpronomen; er ſagt alſo: „Luther wa itsu umaremashita ka?“ oder noch logiſcher: „Luther no umareta toshi wa itsu desu ka?“
Der Unterſchied der deutſchen und japaniſchen Aus- drucksweiſe iſt nicht auf räumliche und zeitliche Ver- hältniſſe beſchränkt. Nehmen wir ein Beiſpiel, welches auf einem ganz andern Gebiet liegt, z. B.: „Was iſt Herr Mayeda?“ Die wörtliche Überſetzung: „Maye- dasan wa nan desu ka?“ würde nicht verſtanden werden. Der Japaner ſagt: „Was thut (treibt) Herr Mayeda?“ „Mayedasan wa nani wo suru hito desu ka?“ Bei dem Unterricht mit Kindern gilt bei uns in Europa der katechetiſche Grundſatz, die Fragen, dem Verſtändnis des
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angeſchaut und in dem weitgeöffneten Auge ſtand deut-
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meinen Sie?“ Die deutſche Frage mit „welche“ oder
„was für eine“ iſt zu abſtrakt und unbeſtimmt. Der
Japaner fragt: „Doko no gakkō ye irasshaimasu ka?“
oder „nan to iu gakkō ye irrasshaimasu ka?“; er fragt
alſo ganz beſtimmt nach dem Ort oder nach dem Namen
der Schule. So würde man auch nicht fragen: „Aus
welcher Gegend ſind Sie? Welches iſt Ihre Heimat?“,
ſondern ganz beſtimmt: „Wo iſt Ihr Land?“ „Anata
wa doko no kuni desu ka?“ oder „O kuni wa doko de
gozaimasu ka?“
Wie mit dem Ort, ſo inbezug auf die Zeit. So
würde eine wörtliche Überſetzung von: „Welches iſt das
Geburtsjahr Luthers?“ japaniſch unverſtändlich ſein.
Der Japaner will direkt wiſſen, um welchen Gegenſtand
es ſich handelt, und da es ſich hier nicht um irgend
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und deutlich um eine Zeitbeſtimmung, ſo gebraucht er
nicht das unbeſtimmte Fragepronomen, ſondern das
beſtimmte Zeitpronomen; er ſagt alſo: „Luther wa
itsu umaremashita ka?“ oder noch logiſcher: „Luther
no umareta toshi wa itsu desu ka?“
Der Unterſchied der deutſchen und japaniſchen Aus-
drucksweiſe iſt nicht auf räumliche und zeitliche Ver-
hältniſſe beſchränkt. Nehmen wir ein Beiſpiel, welches
auf einem ganz andern Gebiet liegt, z. B.: „Was iſt
Herr Mayeda?“ Die wörtliche Überſetzung: „Maye-
dasan wa nan desu ka?“ würde nicht verſtanden werden.
Der Japaner ſagt: „Was thut (treibt) Herr Mayeda?“
„Mayedasan wa nani wo suru hito desu ka?“ Bei dem
Unterricht mit Kindern gilt bei uns in Europa der
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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/61>, abgerufen am 24.11.2024.
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