eine Menschenseele einen unendlichen Wert hat, und daß darum auch rein nach diesem Gesichtspunkt die Mission nie zu teuer bezahlt wäre, ist diese Rechnung doch eine gründlich falsche. Denn der indirekte Erfolg, der nicht mit Zahlen belegt werden kann, ist weit größer als der direkte. Was in Japan durch die Vorbe- reitung der Volksbekehrung in der Verbreitung christ- licher Ideen gewirkt worden ist, schätze ich viel höher als die hundertundsiebenzehn tausend Getaufter. Man darf dreist behaupten, daß jetzt schon unter den Heiden viele theistisch denken und christlich handeln, und daß es thatsächlich wenige geben mag, die vom Christentum noch vollständig unberührt wären. Sie wissen es frei- lich nicht, und wenn sie es wüßten, es würde ihnen angst und bange werden. So kommen sie immer näher und näher den Thoren des Reiches Gottes, und zum Schlusse bedarf es nur noch Eines, aber freilich des Wichtigsten, des Geistes aus der Höhe, und das Pfingsten für Japan ist da.
Das wird das Ende sein!
In Nikko im heiligen Tempelhain, fernab von des Alltags eitlem Geschwätz, steht ein schlichtes Grabmal. Tiefer Friede ringsum, kein Zeichen von Leben, als ob selbst die Tiere des Waldes es wüßten: Hier ist geweihtes Land! Dumpf und feierlich ertönt von unten herauf von Zeit zu Zeit die Tempelglocke, und durch die sanftbewegten Zweige der ragenden Kryptomerien geht ein geheimnisvolles Flüstern. Es ist der Geist von Altjapan, der an diesem Grabe Trauerwache hält; denn der darunter liegt, ist Iyeyasu, seines Landes größter Sohn. Was Japan die Jahrhunderte hindurch gewesen ist, in diesem Manne war es verkörpert. Drei- hundert Jahre sind darüber hingerauscht, daß er auf
eine Menſchenſeele einen unendlichen Wert hat, und daß darum auch rein nach dieſem Geſichtspunkt die Miſſion nie zu teuer bezahlt wäre, iſt dieſe Rechnung doch eine gründlich falſche. Denn der indirekte Erfolg, der nicht mit Zahlen belegt werden kann, iſt weit größer als der direkte. Was in Japan durch die Vorbe- reitung der Volksbekehrung in der Verbreitung chriſt- licher Ideen gewirkt worden iſt, ſchätze ich viel höher als die hundertundſiebenzehn tauſend Getaufter. Man darf dreiſt behaupten, daß jetzt ſchon unter den Heiden viele theiſtiſch denken und chriſtlich handeln, und daß es thatſächlich wenige geben mag, die vom Chriſtentum noch vollſtändig unberührt wären. Sie wiſſen es frei- lich nicht, und wenn ſie es wüßten, es würde ihnen angſt und bange werden. So kommen ſie immer näher und näher den Thoren des Reiches Gottes, und zum Schluſſe bedarf es nur noch Eines, aber freilich des Wichtigſten, des Geiſtes aus der Höhe, und das Pfingſten für Japan iſt da.
Das wird das Ende ſein!
In Nikko im heiligen Tempelhain, fernab von des Alltags eitlem Geſchwätz, ſteht ein ſchlichtes Grabmal. Tiefer Friede ringsum, kein Zeichen von Leben, als ob ſelbſt die Tiere des Waldes es wüßten: Hier iſt geweihtes Land! Dumpf und feierlich ertönt von unten herauf von Zeit zu Zeit die Tempelglocke, und durch die ſanftbewegten Zweige der ragenden Kryptomerien geht ein geheimnisvolles Flüſtern. Es iſt der Geiſt von Altjapan, der an dieſem Grabe Trauerwache hält; denn der darunter liegt, iſt Iyeyaſu, ſeines Landes größter Sohn. Was Japan die Jahrhunderte hindurch geweſen iſt, in dieſem Manne war es verkörpert. Drei- hundert Jahre ſind darüber hingerauſcht, daß er auf
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eine Menſchenſeele einen unendlichen Wert hat, und
daß darum auch rein nach dieſem Geſichtspunkt die
Miſſion nie zu teuer bezahlt wäre, iſt dieſe Rechnung
doch eine gründlich falſche. Denn der indirekte Erfolg,
der nicht mit Zahlen belegt werden kann, iſt weit größer
als der direkte. Was in Japan durch die Vorbe-
reitung der Volksbekehrung in der Verbreitung chriſt-
licher Ideen gewirkt worden iſt, ſchätze ich viel höher
als die hundertundſiebenzehn tauſend Getaufter. Man
darf dreiſt behaupten, daß jetzt ſchon unter den Heiden
viele theiſtiſch denken und chriſtlich handeln, und daß
es thatſächlich wenige geben mag, die vom Chriſtentum
noch vollſtändig unberührt wären. Sie wiſſen es frei-
lich nicht, und wenn ſie es wüßten, es würde ihnen
angſt und bange werden. So kommen ſie immer näher
und näher den Thoren des Reiches Gottes, und zum
Schluſſe bedarf es nur noch Eines, aber freilich des
Wichtigſten, des Geiſtes aus der Höhe, und das Pfingſten
für Japan iſt da.
Das wird das Ende ſein!
In Nikko im heiligen Tempelhain, fernab von des
Alltags eitlem Geſchwätz, ſteht ein ſchlichtes Grabmal.
Tiefer Friede ringsum, kein Zeichen von Leben, als
ob ſelbſt die Tiere des Waldes es wüßten: Hier iſt
geweihtes Land! Dumpf und feierlich ertönt von unten
herauf von Zeit zu Zeit die Tempelglocke, und durch
die ſanftbewegten Zweige der ragenden Kryptomerien
geht ein geheimnisvolles Flüſtern. Es iſt der Geiſt
von Altjapan, der an dieſem Grabe Trauerwache hält;
denn der darunter liegt, iſt Iyeyaſu, ſeines Landes
größter Sohn. Was Japan die Jahrhunderte hindurch
geweſen iſt, in dieſem Manne war es verkörpert. Drei-
hundert Jahre ſind darüber hingerauſcht, daß er auf
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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/430>, abgerufen am 24.11.2024.
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