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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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Blätter in ein Haus kommen, so sammelt sich schon,
ohne daß man sich darum gleich übersanguinischen Hoff-
nungen auf rasche Bekehrungen hinzugeben braucht, ein
recht ansehnlicher Stock christlicher Einflüsse. Natürlich
ist das oberste Interesse nicht das, auf seine Kosten zu
kommen, sondern das Wort Gottes in möglichst weite
Kreise zu tragen. Der Verschleiß ist darum recht frei-
gebig und zu sehr billigen Preisen, mitunter sogar ver-
schwenderisch. So wurden während des chinesisch-japa-
nischen
Krieges nicht weniger als hunderttausend Neue
Testamente und Bruchteile der Bibel im Hauptquartier zu
Hiroshima an japanische Soldaten verteilt. Der gewöhn-
liche Jahresverschleiß an heiligen Schriften beträgt
wenig unter hunderttausend, während der Gesamtver-
brauch seit Beginn der japanischen Mission sich auf
rund anderthalb Million beläuft. Es giebt infolge
dessen eine Menge Leute auch außerhalb des christlichen
Lagers, welche gute biblische Kenntnisse besitzen, und
zuweilen findet man die Wirkung dieses Missionsbe-
triebs selbst da, wo man sie am wenigsten suchen würde.
Es ist noch nicht lange her, da hielt in einer Versamm-
lung, welche von einer Shintosekte veranstaltet worden
war, einer der Redner eine Ansprache, in welcher er
fortwährend von dem "Himmelskönig" sprach. Jene
Shintosekte huldigt polytheistischen Anschauungen, der
Redner aber vertrat einen geläuterten Monotheismus.
Zweifellos hat er seinen Monotheismus in der Bibel
gefunden. Aus der Versammlung heraus wurde die
christliche Anrüchigkeit sogleich vermerkt, und schon der
nächste Sprecher ergriff die Gelegenheit, seinen Vorredner
um seiner christlichen Anschauungen willen zurechtzu-
weisen. Aber als dieser Mann, der sich somit als ein
Feind des Christentums gebahrte, in seiner Rede fort-

Blätter in ein Haus kommen, ſo ſammelt ſich ſchon,
ohne daß man ſich darum gleich überſanguiniſchen Hoff-
nungen auf raſche Bekehrungen hinzugeben braucht, ein
recht anſehnlicher Stock chriſtlicher Einflüſſe. Natürlich
iſt das oberſte Intereſſe nicht das, auf ſeine Koſten zu
kommen, ſondern das Wort Gottes in möglichſt weite
Kreiſe zu tragen. Der Verſchleiß iſt darum recht frei-
gebig und zu ſehr billigen Preiſen, mitunter ſogar ver-
ſchwenderiſch. So wurden während des chineſiſch-japa-
niſchen
Krieges nicht weniger als hunderttauſend Neue
Teſtamente und Bruchteile der Bibel im Hauptquartier zu
Hiroſhima an japaniſche Soldaten verteilt. Der gewöhn-
liche Jahresverſchleiß an heiligen Schriften beträgt
wenig unter hunderttauſend, während der Geſamtver-
brauch ſeit Beginn der japaniſchen Miſſion ſich auf
rund anderthalb Million beläuft. Es giebt infolge
deſſen eine Menge Leute auch außerhalb des chriſtlichen
Lagers, welche gute bibliſche Kenntniſſe beſitzen, und
zuweilen findet man die Wirkung dieſes Miſſionsbe-
triebs ſelbſt da, wo man ſie am wenigſten ſuchen würde.
Es iſt noch nicht lange her, da hielt in einer Verſamm-
lung, welche von einer Shintoſekte veranſtaltet worden
war, einer der Redner eine Anſprache, in welcher er
fortwährend von dem „Himmelskönig“ ſprach. Jene
Shintoſekte huldigt polytheiſtiſchen Anſchauungen, der
Redner aber vertrat einen geläuterten Monotheismus.
Zweifellos hat er ſeinen Monotheismus in der Bibel
gefunden. Aus der Verſammlung heraus wurde die
chriſtliche Anrüchigkeit ſogleich vermerkt, und ſchon der
nächſte Sprecher ergriff die Gelegenheit, ſeinen Vorredner
um ſeiner chriſtlichen Anſchauungen willen zurechtzu-
weiſen. Aber als dieſer Mann, der ſich ſomit als ein
Feind des Chriſtentums gebahrte, in ſeiner Rede fort-

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[402/0416] Blätter in ein Haus kommen, ſo ſammelt ſich ſchon, ohne daß man ſich darum gleich überſanguiniſchen Hoff- nungen auf raſche Bekehrungen hinzugeben braucht, ein recht anſehnlicher Stock chriſtlicher Einflüſſe. Natürlich iſt das oberſte Intereſſe nicht das, auf ſeine Koſten zu kommen, ſondern das Wort Gottes in möglichſt weite Kreiſe zu tragen. Der Verſchleiß iſt darum recht frei- gebig und zu ſehr billigen Preiſen, mitunter ſogar ver- ſchwenderiſch. So wurden während des chineſiſch-japa- niſchen Krieges nicht weniger als hunderttauſend Neue Teſtamente und Bruchteile der Bibel im Hauptquartier zu Hiroſhima an japaniſche Soldaten verteilt. Der gewöhn- liche Jahresverſchleiß an heiligen Schriften beträgt wenig unter hunderttauſend, während der Geſamtver- brauch ſeit Beginn der japaniſchen Miſſion ſich auf rund anderthalb Million beläuft. Es giebt infolge deſſen eine Menge Leute auch außerhalb des chriſtlichen Lagers, welche gute bibliſche Kenntniſſe beſitzen, und zuweilen findet man die Wirkung dieſes Miſſionsbe- triebs ſelbſt da, wo man ſie am wenigſten ſuchen würde. Es iſt noch nicht lange her, da hielt in einer Verſamm- lung, welche von einer Shintoſekte veranſtaltet worden war, einer der Redner eine Anſprache, in welcher er fortwährend von dem „Himmelskönig“ ſprach. Jene Shintoſekte huldigt polytheiſtiſchen Anſchauungen, der Redner aber vertrat einen geläuterten Monotheismus. Zweifellos hat er ſeinen Monotheismus in der Bibel gefunden. Aus der Verſammlung heraus wurde die chriſtliche Anrüchigkeit ſogleich vermerkt, und ſchon der nächſte Sprecher ergriff die Gelegenheit, ſeinen Vorredner um ſeiner chriſtlichen Anſchauungen willen zurechtzu- weiſen. Aber als dieſer Mann, der ſich ſomit als ein Feind des Chriſtentums gebahrte, in ſeiner Rede fort-

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/416>, abgerufen am 28.11.2024.