machen. Es macht Propaganda und hält den Angriff für eine zweckentsprechendere Kampfesweise als die Ver- teidigung. Es fordert die Aufmerksamkeit und Beachtung der Volksmassen heraus und thut alles, um nicht in Vergessenheit zu geraten. Es zwingt die Massen zur Stellungnahme in der Überzeugung: Besser ein fröh- licher Krieg, denn ein fauler Friede.
Diese Grundsätze kommen schon rein äußerlich zum Ausdruck. Jedes Gotteshaus, jedes Predigtlokal ist durch eine große Aufschrift für alle Vorübergehenden als solches erkennbar. Auf einer fast aufdringlich an- gebrachten Tafel sind Name, Wohnung und Sprech- stunden des Predigers verzeichnet, und die Themata der Predigten und Vorträge werden schon ein paar Tage zuvor in Riesenlettern so unmittelbar neben der Straße angebracht, daß sie jedem Passanten in die Augen fallen müssen. Zuweilen auch verliert sich das Bestreben, die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, zu wenig geschmackvollen Verirrungen. So kam ich einmal in einem Landstädtchen an eine Predigtstation, vor welcher der Evangelist schon seit einer halben Stunde auf einer alten Ziehharmonika herumphantasierte zum großen Gaudium eines Publikums, unter welchem die Jugend am stärksten vertreten war. Er hatte das mehr als zweifelhafte Instrument in dem Trödelladen einer Hafen- stadt gekauft und gedachte sich durch seine Klänge eine gute Zuhörerschaft herbeizulocken. Von Musik verstand er zwar nichts, aber da das europäische Musikverständ- nis der Japaner nicht einmal bis zur Tonleiter reicht, so hatte er von einer musikalischen Kritik seines Publi- kums nichts zu fürchten. Und übrigens, wenn er nur seinen Zweck erreichte, so war das Musikalische schließ- lich ja auch Nebensache. Natürlich haben die Japaner
machen. Es macht Propaganda und hält den Angriff für eine zweckentſprechendere Kampfesweiſe als die Ver- teidigung. Es fordert die Aufmerkſamkeit und Beachtung der Volksmaſſen heraus und thut alles, um nicht in Vergeſſenheit zu geraten. Es zwingt die Maſſen zur Stellungnahme in der Überzeugung: Beſſer ein fröh- licher Krieg, denn ein fauler Friede.
Dieſe Grundſätze kommen ſchon rein äußerlich zum Ausdruck. Jedes Gotteshaus, jedes Predigtlokal iſt durch eine große Aufſchrift für alle Vorübergehenden als ſolches erkennbar. Auf einer faſt aufdringlich an- gebrachten Tafel ſind Name, Wohnung und Sprech- ſtunden des Predigers verzeichnet, und die Themata der Predigten und Vorträge werden ſchon ein paar Tage zuvor in Rieſenlettern ſo unmittelbar neben der Straße angebracht, daß ſie jedem Paſſanten in die Augen fallen müſſen. Zuweilen auch verliert ſich das Beſtreben, die öffentliche Aufmerkſamkeit auf ſich zu lenken, zu wenig geſchmackvollen Verirrungen. So kam ich einmal in einem Landſtädtchen an eine Predigtſtation, vor welcher der Evangeliſt ſchon ſeit einer halben Stunde auf einer alten Ziehharmonika herumphantaſierte zum großen Gaudium eines Publikums, unter welchem die Jugend am ſtärkſten vertreten war. Er hatte das mehr als zweifelhafte Inſtrument in dem Trödelladen einer Hafen- ſtadt gekauft und gedachte ſich durch ſeine Klänge eine gute Zuhörerſchaft herbeizulocken. Von Muſik verſtand er zwar nichts, aber da das europäiſche Muſikverſtänd- nis der Japaner nicht einmal bis zur Tonleiter reicht, ſo hatte er von einer muſikaliſchen Kritik ſeines Publi- kums nichts zu fürchten. Und übrigens, wenn er nur ſeinen Zweck erreichte, ſo war das Muſikaliſche ſchließ- lich ja auch Nebenſache. Natürlich haben die Japaner
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machen. Es macht Propaganda und hält den Angriff
für eine zweckentſprechendere Kampfesweiſe als die Ver-
teidigung. Es fordert die Aufmerkſamkeit und Beachtung
der Volksmaſſen heraus und thut alles, um nicht in
Vergeſſenheit zu geraten. Es zwingt die Maſſen zur
Stellungnahme in der Überzeugung: Beſſer ein fröh-
licher Krieg, denn ein fauler Friede.
Dieſe Grundſätze kommen ſchon rein äußerlich zum
Ausdruck. Jedes Gotteshaus, jedes Predigtlokal iſt
durch eine große Aufſchrift für alle Vorübergehenden
als ſolches erkennbar. Auf einer faſt aufdringlich an-
gebrachten Tafel ſind Name, Wohnung und Sprech-
ſtunden des Predigers verzeichnet, und die Themata der
Predigten und Vorträge werden ſchon ein paar Tage
zuvor in Rieſenlettern ſo unmittelbar neben der Straße
angebracht, daß ſie jedem Paſſanten in die Augen fallen
müſſen. Zuweilen auch verliert ſich das Beſtreben, die
öffentliche Aufmerkſamkeit auf ſich zu lenken, zu wenig
geſchmackvollen Verirrungen. So kam ich einmal in
einem Landſtädtchen an eine Predigtſtation, vor welcher
der Evangeliſt ſchon ſeit einer halben Stunde auf einer
alten Ziehharmonika herumphantaſierte zum großen
Gaudium eines Publikums, unter welchem die Jugend
am ſtärkſten vertreten war. Er hatte das mehr als
zweifelhafte Inſtrument in dem Trödelladen einer Hafen-
ſtadt gekauft und gedachte ſich durch ſeine Klänge eine
gute Zuhörerſchaft herbeizulocken. Von Muſik verſtand
er zwar nichts, aber da das europäiſche Muſikverſtänd-
nis der Japaner nicht einmal bis zur Tonleiter reicht,
ſo hatte er von einer muſikaliſchen Kritik ſeines Publi-
kums nichts zu fürchten. Und übrigens, wenn er nur
ſeinen Zweck erreichte, ſo war das Muſikaliſche ſchließ-
lich ja auch Nebenſache. Natürlich haben die Japaner
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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/412>, abgerufen am 24.11.2024.
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