das sittliche Handeln wirksam erweisen.) Der Gegensatz gegen den persönlichen Gott führt leicht zum Pantheis- mus, besonders bei den sogenannten Gebildeten. Seine Spuren sind heute leider nicht mehr allzu schwer zu finden. Vor ein paar Jahren hat es ein christlicher Professor der Doshisha fertig gebracht, in der schon er- wähnten Zeitschrift Rikugo Zasshi den unverhülltesten Pantheismus zu predigen und die beschränkten theistischen Missionare mit bitterem Spott zu übergießen.
Man hat vielfach die Hoffnung gehegt, daß von Japans jungfräulichem Boden eine Neugeburt des Christentums ausgehen werde. Kozaki, der Nachfolger Nishimas als Präsident der Doshisha, glaubt, daß Japan der Ort sei, wo das Weltproblem des Christentums nach und nach zur Lösung kommen werde, und Yokoi, welcher seit 1897 Kozaki in der Leitung der Doshisha ablöste, hat für sein Vaterland den Ehrgeiz, daß er eine neue und höhere Theologie hervorbringen will, und daß das europäische Christentum in Zukunft nach Japan um Hilfe schauen müsse. Diese Hoffnungen vermag ich nicht in vollem Maße zu teilen. Da gehören denn doch noch ganz andere Eigenschaften dazu, als das Volk der Japaner besitzt. Japan hat sein besonderes Charisma. Das ist seine praktisch-ethische Veranlagung. Es giebt auf der ganzen Erde vielleicht kein Volk, bei welchem sich die ethischen Grundsätze so sehr in die Praxis des Lebens umgesetzt fänden, bei welchem ein Moralsystem so sehr zu einer alle Lebensverhältnisse bestimmenden Geltung gekommen wäre. Und wenn die alte griechische Kirche wesentlich die Seite des Denkens am Christentum betont hat, was zur Ausbildung der Metaphysik des Dogmas führte, und wenn die germa- nische Kirche das Christentum wesentlich zu einer Sache
das ſittliche Handeln wirkſam erweiſen.) Der Gegenſatz gegen den perſönlichen Gott führt leicht zum Pantheis- mus, beſonders bei den ſogenannten Gebildeten. Seine Spuren ſind heute leider nicht mehr allzu ſchwer zu finden. Vor ein paar Jahren hat es ein chriſtlicher Profeſſor der Doſhiſha fertig gebracht, in der ſchon er- wähnten Zeitſchrift Rikugo Zaſſhi den unverhüllteſten Pantheismus zu predigen und die beſchränkten theiſtiſchen Miſſionare mit bitterem Spott zu übergießen.
Man hat vielfach die Hoffnung gehegt, daß von Japans jungfräulichem Boden eine Neugeburt des Chriſtentums ausgehen werde. Kozaki, der Nachfolger Niſhimas als Präſident der Doſhiſha, glaubt, daß Japan der Ort ſei, wo das Weltproblem des Chriſtentums nach und nach zur Löſung kommen werde, und Yokoi, welcher ſeit 1897 Kozaki in der Leitung der Doſhiſha ablöſte, hat für ſein Vaterland den Ehrgeiz, daß er eine neue und höhere Theologie hervorbringen will, und daß das europäiſche Chriſtentum in Zukunft nach Japan um Hilfe ſchauen müſſe. Dieſe Hoffnungen vermag ich nicht in vollem Maße zu teilen. Da gehören denn doch noch ganz andere Eigenſchaften dazu, als das Volk der Japaner beſitzt. Japan hat ſein beſonderes Charisma. Das iſt ſeine praktiſch-ethiſche Veranlagung. Es giebt auf der ganzen Erde vielleicht kein Volk, bei welchem ſich die ethiſchen Grundſätze ſo ſehr in die Praxis des Lebens umgeſetzt fänden, bei welchem ein Moralſyſtem ſo ſehr zu einer alle Lebensverhältniſſe beſtimmenden Geltung gekommen wäre. Und wenn die alte griechiſche Kirche weſentlich die Seite des Denkens am Chriſtentum betont hat, was zur Ausbildung der Metaphyſik des Dogmas führte, und wenn die germa- niſche Kirche das Chriſtentum weſentlich zu einer Sache
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das ſittliche Handeln wirkſam erweiſen.) Der Gegenſatz
gegen den perſönlichen Gott führt leicht zum Pantheis-
mus, beſonders bei den ſogenannten Gebildeten. Seine
Spuren ſind heute leider nicht mehr allzu ſchwer zu
finden. Vor ein paar Jahren hat es ein chriſtlicher
Profeſſor der Doſhiſha fertig gebracht, in der ſchon er-
wähnten Zeitſchrift Rikugo Zaſſhi den unverhüllteſten
Pantheismus zu predigen und die beſchränkten theiſtiſchen
Miſſionare mit bitterem Spott zu übergießen.
Man hat vielfach die Hoffnung gehegt, daß von
Japans jungfräulichem Boden eine Neugeburt des
Chriſtentums ausgehen werde. Kozaki, der Nachfolger
Niſhimas als Präſident der Doſhiſha, glaubt, daß Japan
der Ort ſei, wo das Weltproblem des Chriſtentums
nach und nach zur Löſung kommen werde, und Yokoi,
welcher ſeit 1897 Kozaki in der Leitung der Doſhiſha
ablöſte, hat für ſein Vaterland den Ehrgeiz, daß er
eine neue und höhere Theologie hervorbringen will,
und daß das europäiſche Chriſtentum in Zukunft nach
Japan um Hilfe ſchauen müſſe. Dieſe Hoffnungen
vermag ich nicht in vollem Maße zu teilen. Da gehören
denn doch noch ganz andere Eigenſchaften dazu, als das
Volk der Japaner beſitzt. Japan hat ſein beſonderes
Charisma. Das iſt ſeine praktiſch-ethiſche Veranlagung.
Es giebt auf der ganzen Erde vielleicht kein Volk, bei
welchem ſich die ethiſchen Grundſätze ſo ſehr in die
Praxis des Lebens umgeſetzt fänden, bei welchem ein
Moralſyſtem ſo ſehr zu einer alle Lebensverhältniſſe
beſtimmenden Geltung gekommen wäre. Und wenn die
alte griechiſche Kirche weſentlich die Seite des Denkens
am Chriſtentum betont hat, was zur Ausbildung der
Metaphyſik des Dogmas führte, und wenn die germa-
niſche Kirche das Chriſtentum weſentlich zu einer Sache
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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/406>, abgerufen am 24.11.2024.
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