charakterlose Konzession an die chauvinistischen Schrei- hälse. Dagegen ist es durchaus begreiflich, daß es sich eine Christengemeinde nicht nachsagen lassen kann, daß sie Verbrecher und Schurken unter sich duldet. Reu- mütige Sünder können nach allgemeiner Übung später wieder aufgenommen werden. Auch wird nicht immer die schärfste Form der Exkommunikation gewählt. In einem Ehescheidungsfall eines sonst vortrefflichen Mit- glieds unserer Gemeinde, welches sich nicht ohne gute Gründe zu seinem Vorgehen veranlaßt sah, glaubten wir im Sinne christlicher Ethik zu handeln, wenn wir ihm den freiwilligen Austritt nahe legten. Die Aus- stoßung hat immer etwas Schimpfliches und Entehrendes, und diesen Charakter muß sie behalten, wenn anders sie wirksam bleiben soll.
Die Ausstoßung ist ein zweischneidiges Schwert, welches nicht allein den verwundet, gegen den es ge- richtet ist, sondern auch den, der es führt. Denn auch auf den Missionar wirft es kein günstiges Licht, wenn er zu oft in die Lage kommt, zu diesem Gewaltmittel zu greifen. Für einen guten Missionar gilt dasselbe wie für einen guten Arzt: Er muß versuchen, der Krankheit vorzubeugen und dem Äußersten durch weise Präventivmaßregeln zuvorzukommen. Er muß also den Bekehrten von vornherein in eine sorgfältige Behand- lung nehmen.
Der junge Christ kann ohne dieselbe gar nicht be- stehen. Denn durch die Taufe ist er doch noch nicht auf eigene Füße gestellt. Weit entfernt! Die Taufe ist die Geburt eines neuen Menschen, Neugeborene aber sind keine selbständigen Männer, wenn auch auf geistigem Gebiet hier und da eine Ausnahme zuzugeben ist. Im allgemeinen ist der junge Täufling wie ein kleines,
charakterloſe Konzeſſion an die chauviniſtiſchen Schrei- hälſe. Dagegen iſt es durchaus begreiflich, daß es ſich eine Chriſtengemeinde nicht nachſagen laſſen kann, daß ſie Verbrecher und Schurken unter ſich duldet. Reu- mütige Sünder können nach allgemeiner Übung ſpäter wieder aufgenommen werden. Auch wird nicht immer die ſchärfſte Form der Exkommunikation gewählt. In einem Eheſcheidungsfall eines ſonſt vortrefflichen Mit- glieds unſerer Gemeinde, welches ſich nicht ohne gute Gründe zu ſeinem Vorgehen veranlaßt ſah, glaubten wir im Sinne chriſtlicher Ethik zu handeln, wenn wir ihm den freiwilligen Austritt nahe legten. Die Aus- ſtoßung hat immer etwas Schimpfliches und Entehrendes, und dieſen Charakter muß ſie behalten, wenn anders ſie wirkſam bleiben ſoll.
Die Ausſtoßung iſt ein zweiſchneidiges Schwert, welches nicht allein den verwundet, gegen den es ge- richtet iſt, ſondern auch den, der es führt. Denn auch auf den Miſſionar wirft es kein günſtiges Licht, wenn er zu oft in die Lage kommt, zu dieſem Gewaltmittel zu greifen. Für einen guten Miſſionar gilt dasſelbe wie für einen guten Arzt: Er muß verſuchen, der Krankheit vorzubeugen und dem Äußerſten durch weiſe Präventivmaßregeln zuvorzukommen. Er muß alſo den Bekehrten von vornherein in eine ſorgfältige Behand- lung nehmen.
Der junge Chriſt kann ohne dieſelbe gar nicht be- ſtehen. Denn durch die Taufe iſt er doch noch nicht auf eigene Füße geſtellt. Weit entfernt! Die Taufe iſt die Geburt eines neuen Menſchen, Neugeborene aber ſind keine ſelbſtändigen Männer, wenn auch auf geiſtigem Gebiet hier und da eine Ausnahme zuzugeben iſt. Im allgemeinen iſt der junge Täufling wie ein kleines,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0375"n="361"/>
charakterloſe Konzeſſion an die chauviniſtiſchen Schrei-<lb/>
hälſe. Dagegen iſt es durchaus begreiflich, daß es ſich<lb/>
eine Chriſtengemeinde nicht nachſagen laſſen kann, daß<lb/>ſie Verbrecher und Schurken unter ſich duldet. Reu-<lb/>
mütige Sünder können nach allgemeiner Übung ſpäter<lb/>
wieder aufgenommen werden. Auch wird nicht immer<lb/>
die ſchärfſte Form der Exkommunikation gewählt. In<lb/>
einem Eheſcheidungsfall eines ſonſt vortrefflichen Mit-<lb/>
glieds unſerer Gemeinde, welches ſich nicht ohne gute<lb/>
Gründe zu ſeinem Vorgehen veranlaßt ſah, glaubten<lb/>
wir im Sinne chriſtlicher Ethik zu handeln, wenn wir<lb/>
ihm den freiwilligen Austritt nahe legten. Die <choice><sic>Aus-<lb/>ſtoßuug</sic><corr>Aus-<lb/>ſtoßung</corr></choice> hat immer etwas Schimpfliches und Entehrendes,<lb/>
und dieſen Charakter muß ſie behalten, wenn anders<lb/>ſie wirkſam bleiben ſoll.</p><lb/><p>Die Ausſtoßung iſt ein zweiſchneidiges Schwert,<lb/>
welches nicht allein den verwundet, gegen den es ge-<lb/>
richtet iſt, ſondern auch den, der es führt. Denn auch<lb/>
auf den Miſſionar wirft es kein günſtiges Licht, wenn<lb/>
er zu oft in die Lage kommt, zu dieſem Gewaltmittel<lb/>
zu greifen. Für einen guten Miſſionar gilt dasſelbe<lb/>
wie für einen guten Arzt: Er muß verſuchen, der<lb/>
Krankheit vorzubeugen und dem Äußerſten durch weiſe<lb/>
Präventivmaßregeln zuvorzukommen. Er muß alſo den<lb/>
Bekehrten von vornherein in eine ſorgfältige Behand-<lb/>
lung nehmen.</p><lb/><p>Der junge Chriſt kann ohne dieſelbe gar nicht be-<lb/>ſtehen. Denn durch die Taufe iſt er doch noch nicht<lb/>
auf eigene Füße geſtellt. Weit entfernt! Die Taufe<lb/>
iſt die Geburt eines neuen Menſchen, Neugeborene aber<lb/>ſind keine ſelbſtändigen Männer, wenn auch auf geiſtigem<lb/>
Gebiet hier und da eine Ausnahme zuzugeben iſt. Im<lb/>
allgemeinen iſt der junge Täufling wie ein kleines,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[361/0375]
charakterloſe Konzeſſion an die chauviniſtiſchen Schrei-
hälſe. Dagegen iſt es durchaus begreiflich, daß es ſich
eine Chriſtengemeinde nicht nachſagen laſſen kann, daß
ſie Verbrecher und Schurken unter ſich duldet. Reu-
mütige Sünder können nach allgemeiner Übung ſpäter
wieder aufgenommen werden. Auch wird nicht immer
die ſchärfſte Form der Exkommunikation gewählt. In
einem Eheſcheidungsfall eines ſonſt vortrefflichen Mit-
glieds unſerer Gemeinde, welches ſich nicht ohne gute
Gründe zu ſeinem Vorgehen veranlaßt ſah, glaubten
wir im Sinne chriſtlicher Ethik zu handeln, wenn wir
ihm den freiwilligen Austritt nahe legten. Die Aus-
ſtoßung hat immer etwas Schimpfliches und Entehrendes,
und dieſen Charakter muß ſie behalten, wenn anders
ſie wirkſam bleiben ſoll.
Die Ausſtoßung iſt ein zweiſchneidiges Schwert,
welches nicht allein den verwundet, gegen den es ge-
richtet iſt, ſondern auch den, der es führt. Denn auch
auf den Miſſionar wirft es kein günſtiges Licht, wenn
er zu oft in die Lage kommt, zu dieſem Gewaltmittel
zu greifen. Für einen guten Miſſionar gilt dasſelbe
wie für einen guten Arzt: Er muß verſuchen, der
Krankheit vorzubeugen und dem Äußerſten durch weiſe
Präventivmaßregeln zuvorzukommen. Er muß alſo den
Bekehrten von vornherein in eine ſorgfältige Behand-
lung nehmen.
Der junge Chriſt kann ohne dieſelbe gar nicht be-
ſtehen. Denn durch die Taufe iſt er doch noch nicht
auf eigene Füße geſtellt. Weit entfernt! Die Taufe
iſt die Geburt eines neuen Menſchen, Neugeborene aber
ſind keine ſelbſtändigen Männer, wenn auch auf geiſtigem
Gebiet hier und da eine Ausnahme zuzugeben iſt. Im
allgemeinen iſt der junge Täufling wie ein kleines,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/375>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.