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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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Man darf sich also die Missionsgemeinde nicht als
ein großes sonniges Feld vorstellen, darauf die schönsten
Bäume stehen und an jedem Baume die herrlichsten
Früchte hängen. Das Christentum ist wie der frucht-
bare Boden, in welchen der junge Baum erst umge-
pflanzt wird, es ist wie der treibende Saft, der dem
Baume erst zugeführt wird. Eine aufrichtige Annahme
des Evangeliums hat auch einen aufrichtigen guten
Willen zur Folge; aber wenn der Geist auch willig ist,
das Fleisch ist zunächst noch schwach. Nur in be-
schränktem Maße und nur bei wahrhaft paulinischen
Persönlichkeiten ist die sittliche Wirkung der Bekehrung
eine unmittelbare. Aber bei der weitaus größeren Zahl
der schwächeren Elemente trifft dieses durchaus nicht
zu. Auch hier ist es ein Wachstum, und alles Wachs-
tum braucht Zeit. Darum ist das Missionsfeld mit
Bezug auf die sittliche Qualität der Bekehrten wie ein
blühendes Saatfeld, welches köstliche Früchte wohl ver-
spricht und mit Sicherheit bringen wird, welches aber
Geduld verlangt. Es sind eben werdende und darum
noch unfertige Verhältnisse. Für die katholische Mission
besteht die Bestimmung, daß erst dann einer Priester
werden kann, wenn seine Familie nachweisbar drei
Generationen hindurch christlich gewesen ist. Erst von
der dritten Generation, die voll und ganz in christlicher
Atmosphäre aufgewachsen ist, nimmt sie an, daß ihr
das Christentum in Fleisch und Blut übergegangen sei.
In der That vollzieht sich eine völlige Umgestaltung
einer ganzen Persönlichkeit -- und bei der Eigenart
des japanischen Geisteslebens kann es sich nur darum
und nicht etwa nur um eine Reformation der Persön-
lichkeit handeln -- erst in großen Zeiträumen. Hat
das Christentum erst einmal eine Umgestaltung der

Man darf ſich alſo die Miſſionsgemeinde nicht als
ein großes ſonniges Feld vorſtellen, darauf die ſchönſten
Bäume ſtehen und an jedem Baume die herrlichſten
Früchte hängen. Das Chriſtentum iſt wie der frucht-
bare Boden, in welchen der junge Baum erſt umge-
pflanzt wird, es iſt wie der treibende Saft, der dem
Baume erſt zugeführt wird. Eine aufrichtige Annahme
des Evangeliums hat auch einen aufrichtigen guten
Willen zur Folge; aber wenn der Geiſt auch willig iſt,
das Fleiſch iſt zunächſt noch ſchwach. Nur in be-
ſchränktem Maße und nur bei wahrhaft pauliniſchen
Perſönlichkeiten iſt die ſittliche Wirkung der Bekehrung
eine unmittelbare. Aber bei der weitaus größeren Zahl
der ſchwächeren Elemente trifft dieſes durchaus nicht
zu. Auch hier iſt es ein Wachstum, und alles Wachs-
tum braucht Zeit. Darum iſt das Miſſionsfeld mit
Bezug auf die ſittliche Qualität der Bekehrten wie ein
blühendes Saatfeld, welches köſtliche Früchte wohl ver-
ſpricht und mit Sicherheit bringen wird, welches aber
Geduld verlangt. Es ſind eben werdende und darum
noch unfertige Verhältniſſe. Für die katholiſche Miſſion
beſteht die Beſtimmung, daß erſt dann einer Prieſter
werden kann, wenn ſeine Familie nachweisbar drei
Generationen hindurch chriſtlich geweſen iſt. Erſt von
der dritten Generation, die voll und ganz in chriſtlicher
Atmoſphäre aufgewachſen iſt, nimmt ſie an, daß ihr
das Chriſtentum in Fleiſch und Blut übergegangen ſei.
In der That vollzieht ſich eine völlige Umgeſtaltung
einer ganzen Perſönlichkeit — und bei der Eigenart
des japaniſchen Geiſteslebens kann es ſich nur darum
und nicht etwa nur um eine Reformation der Perſön-
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[354/0368] Man darf ſich alſo die Miſſionsgemeinde nicht als ein großes ſonniges Feld vorſtellen, darauf die ſchönſten Bäume ſtehen und an jedem Baume die herrlichſten Früchte hängen. Das Chriſtentum iſt wie der frucht- bare Boden, in welchen der junge Baum erſt umge- pflanzt wird, es iſt wie der treibende Saft, der dem Baume erſt zugeführt wird. Eine aufrichtige Annahme des Evangeliums hat auch einen aufrichtigen guten Willen zur Folge; aber wenn der Geiſt auch willig iſt, das Fleiſch iſt zunächſt noch ſchwach. Nur in be- ſchränktem Maße und nur bei wahrhaft pauliniſchen Perſönlichkeiten iſt die ſittliche Wirkung der Bekehrung eine unmittelbare. Aber bei der weitaus größeren Zahl der ſchwächeren Elemente trifft dieſes durchaus nicht zu. Auch hier iſt es ein Wachstum, und alles Wachs- tum braucht Zeit. Darum iſt das Miſſionsfeld mit Bezug auf die ſittliche Qualität der Bekehrten wie ein blühendes Saatfeld, welches köſtliche Früchte wohl ver- ſpricht und mit Sicherheit bringen wird, welches aber Geduld verlangt. Es ſind eben werdende und darum noch unfertige Verhältniſſe. Für die katholiſche Miſſion beſteht die Beſtimmung, daß erſt dann einer Prieſter werden kann, wenn ſeine Familie nachweisbar drei Generationen hindurch chriſtlich geweſen iſt. Erſt von der dritten Generation, die voll und ganz in chriſtlicher Atmoſphäre aufgewachſen iſt, nimmt ſie an, daß ihr das Chriſtentum in Fleiſch und Blut übergegangen ſei. In der That vollzieht ſich eine völlige Umgeſtaltung einer ganzen Perſönlichkeit — und bei der Eigenart des japaniſchen Geiſteslebens kann es ſich nur darum und nicht etwa nur um eine Reformation der Perſön- lichkeit handeln — erſt in großen Zeiträumen. Hat das Chriſtentum erſt einmal eine Umgeſtaltung der

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/368>, abgerufen am 25.11.2024.