Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

seltenen Ausnahmen die Jugend allein sich eindrucks-
fähig erweist. Das Alter steckt zu tief in seinen alten
Anschauungen. Ein Charakter, der sich in einem langen
Leben persönlich ausgebildet hat, ist schwer zu ändern,
gleichwie ein alter Baum nicht leicht umzupflanzen ist.
Gerade das, was für jeden Erfolg bedingungslose Vor-
aussetzung ist, "das Vertrauen ist eine Pflanze, welche
in alternden Herzen nur sehr langsam wächst". Die
Jugend ist biegsam und geschmeidig, das Alter ist spröde
und hart. Da erfährt man, daß doch ein tiefer Wahr-
heitskern in dem Worte liegt: "Was man eingesogen
mit der Muttermilch, schüttet man aus ins Leichen-
hemde". Auch in Japan gab es einmal eine Zeit, wo
das Alter für das Christentum eintrat; aber es waren
keine idealen Gründe, die es bestimmten, sondern poli-
tische Nützlichkeitserwägungen.

Aus Laienkreisen wird der japanischen Mission oft
zum Vorwurf gemacht, sie beziehe ihr Material vorzugs-
weise, wenn nicht ausschließlich, aus den unteren und
einflußlosen Schichten der Bevölkerung. Das mag für
die römische und russische Mission im ganzen zutreffen,
für die evangelische aber keineswegs. Ich sage nicht,
daß die evangelische Mission nur an den oberen Klassen
arbeitet. Wenn das so wäre, so wäre es bedauerlich.
Der Weg der Missionierung darf keinesfalls einseitig
sein. Die Missionskreise, welche sich nur für die
Missionierung von unten herauf begeistern, sind nicht
weniger im Irrtum als die Laienkreise, welche sich nur
für die Methode von oben herab erwärmen können.
Wohl ist es wahr, daß Jesus sich mit seiner Predigt
an "das Volk" wandte und seine Jünger vorzugsweise
aus armen Fischern von Galliläa erwählte. Aber diese
Thatsache will doch auch im Zusammenhang mit den

ſeltenen Ausnahmen die Jugend allein ſich eindrucks-
fähig erweiſt. Das Alter ſteckt zu tief in ſeinen alten
Anſchauungen. Ein Charakter, der ſich in einem langen
Leben perſönlich ausgebildet hat, iſt ſchwer zu ändern,
gleichwie ein alter Baum nicht leicht umzupflanzen iſt.
Gerade das, was für jeden Erfolg bedingungsloſe Vor-
ausſetzung iſt, „das Vertrauen iſt eine Pflanze, welche
in alternden Herzen nur ſehr langſam wächſt“. Die
Jugend iſt biegſam und geſchmeidig, das Alter iſt ſpröde
und hart. Da erfährt man, daß doch ein tiefer Wahr-
heitskern in dem Worte liegt: „Was man eingeſogen
mit der Muttermilch, ſchüttet man aus ins Leichen-
hemde“. Auch in Japan gab es einmal eine Zeit, wo
das Alter für das Chriſtentum eintrat; aber es waren
keine idealen Gründe, die es beſtimmten, ſondern poli-
tiſche Nützlichkeitserwägungen.

Aus Laienkreiſen wird der japaniſchen Miſſion oft
zum Vorwurf gemacht, ſie beziehe ihr Material vorzugs-
weiſe, wenn nicht ausſchließlich, aus den unteren und
einflußloſen Schichten der Bevölkerung. Das mag für
die römiſche und ruſſiſche Miſſion im ganzen zutreffen,
für die evangeliſche aber keineswegs. Ich ſage nicht,
daß die evangeliſche Miſſion nur an den oberen Klaſſen
arbeitet. Wenn das ſo wäre, ſo wäre es bedauerlich.
Der Weg der Miſſionierung darf keinesfalls einſeitig
ſein. Die Miſſionskreiſe, welche ſich nur für die
Miſſionierung von unten herauf begeiſtern, ſind nicht
weniger im Irrtum als die Laienkreiſe, welche ſich nur
für die Methode von oben herab erwärmen können.
Wohl iſt es wahr, daß Jeſus ſich mit ſeiner Predigt
an „das Volk“ wandte und ſeine Jünger vorzugsweiſe
aus armen Fiſchern von Galliläa erwählte. Aber dieſe
Thatſache will doch auch im Zuſammenhang mit den

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0350" n="336"/>
&#x017F;eltenen Ausnahmen die Jugend allein &#x017F;ich eindrucks-<lb/>
fähig erwei&#x017F;t. Das Alter &#x017F;teckt zu tief in &#x017F;einen alten<lb/>
An&#x017F;chauungen. Ein Charakter, der &#x017F;ich in einem langen<lb/>
Leben per&#x017F;önlich ausgebildet hat, i&#x017F;t &#x017F;chwer zu ändern,<lb/>
gleichwie ein alter Baum nicht leicht umzupflanzen i&#x017F;t.<lb/>
Gerade das, was für jeden Erfolg bedingungslo&#x017F;e Vor-<lb/>
aus&#x017F;etzung i&#x017F;t, &#x201E;das Vertrauen i&#x017F;t eine Pflanze, welche<lb/>
in alternden Herzen nur &#x017F;ehr lang&#x017F;am wäch&#x017F;t&#x201C;. Die<lb/>
Jugend i&#x017F;t bieg&#x017F;am und ge&#x017F;chmeidig, das Alter i&#x017F;t &#x017F;pröde<lb/>
und hart. Da erfährt man, daß doch ein tiefer Wahr-<lb/>
heitskern in dem Worte liegt: &#x201E;Was man einge&#x017F;ogen<lb/>
mit der Muttermilch, &#x017F;chüttet man aus ins Leichen-<lb/>
hemde&#x201C;. Auch in Japan gab es einmal eine Zeit, wo<lb/>
das Alter für das Chri&#x017F;tentum eintrat; aber es waren<lb/>
keine idealen Gründe, die es be&#x017F;timmten, &#x017F;ondern poli-<lb/>
ti&#x017F;che Nützlichkeitserwägungen.</p><lb/>
        <p>Aus Laienkrei&#x017F;en wird der japani&#x017F;chen Mi&#x017F;&#x017F;ion oft<lb/>
zum Vorwurf gemacht, &#x017F;ie beziehe ihr Material vorzugs-<lb/>
wei&#x017F;e, wenn nicht aus&#x017F;chließlich, aus den unteren und<lb/>
einflußlo&#x017F;en Schichten der Bevölkerung. Das mag für<lb/>
die römi&#x017F;che und ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che Mi&#x017F;&#x017F;ion im ganzen zutreffen,<lb/>
für die evangeli&#x017F;che aber keineswegs. Ich &#x017F;age nicht,<lb/>
daß die evangeli&#x017F;che Mi&#x017F;&#x017F;ion nur an den oberen Kla&#x017F;&#x017F;en<lb/>
arbeitet. Wenn das &#x017F;o wäre, &#x017F;o wäre es bedauerlich.<lb/>
Der Weg der Mi&#x017F;&#x017F;ionierung darf keinesfalls ein&#x017F;eitig<lb/>
&#x017F;ein. Die Mi&#x017F;&#x017F;ionskrei&#x017F;e, welche &#x017F;ich nur für die<lb/>
Mi&#x017F;&#x017F;ionierung von unten herauf begei&#x017F;tern, &#x017F;ind nicht<lb/>
weniger im Irrtum als die Laienkrei&#x017F;e, welche &#x017F;ich nur<lb/>
für die Methode von oben herab erwärmen können.<lb/>
Wohl i&#x017F;t es wahr, daß Je&#x017F;us &#x017F;ich mit &#x017F;einer Predigt<lb/>
an &#x201E;das Volk&#x201C; wandte und &#x017F;eine Jünger vorzugswei&#x017F;e<lb/>
aus armen Fi&#x017F;chern von Galliläa erwählte. Aber die&#x017F;e<lb/>
That&#x017F;ache will doch auch im Zu&#x017F;ammenhang mit den<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[336/0350] ſeltenen Ausnahmen die Jugend allein ſich eindrucks- fähig erweiſt. Das Alter ſteckt zu tief in ſeinen alten Anſchauungen. Ein Charakter, der ſich in einem langen Leben perſönlich ausgebildet hat, iſt ſchwer zu ändern, gleichwie ein alter Baum nicht leicht umzupflanzen iſt. Gerade das, was für jeden Erfolg bedingungsloſe Vor- ausſetzung iſt, „das Vertrauen iſt eine Pflanze, welche in alternden Herzen nur ſehr langſam wächſt“. Die Jugend iſt biegſam und geſchmeidig, das Alter iſt ſpröde und hart. Da erfährt man, daß doch ein tiefer Wahr- heitskern in dem Worte liegt: „Was man eingeſogen mit der Muttermilch, ſchüttet man aus ins Leichen- hemde“. Auch in Japan gab es einmal eine Zeit, wo das Alter für das Chriſtentum eintrat; aber es waren keine idealen Gründe, die es beſtimmten, ſondern poli- tiſche Nützlichkeitserwägungen. Aus Laienkreiſen wird der japaniſchen Miſſion oft zum Vorwurf gemacht, ſie beziehe ihr Material vorzugs- weiſe, wenn nicht ausſchließlich, aus den unteren und einflußloſen Schichten der Bevölkerung. Das mag für die römiſche und ruſſiſche Miſſion im ganzen zutreffen, für die evangeliſche aber keineswegs. Ich ſage nicht, daß die evangeliſche Miſſion nur an den oberen Klaſſen arbeitet. Wenn das ſo wäre, ſo wäre es bedauerlich. Der Weg der Miſſionierung darf keinesfalls einſeitig ſein. Die Miſſionskreiſe, welche ſich nur für die Miſſionierung von unten herauf begeiſtern, ſind nicht weniger im Irrtum als die Laienkreiſe, welche ſich nur für die Methode von oben herab erwärmen können. Wohl iſt es wahr, daß Jeſus ſich mit ſeiner Predigt an „das Volk“ wandte und ſeine Jünger vorzugsweiſe aus armen Fiſchern von Galliläa erwählte. Aber dieſe Thatſache will doch auch im Zuſammenhang mit den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/350
Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/350>, abgerufen am 25.11.2024.