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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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Hierin liegt eine große Gefahr und die ernste
Mahnung, nicht allzurasch an den letzten Akt zu denken,
nicht allzu früh zu taufen. Denn sonst könnte es gehen
wie bei der Blüte, welche sich im Frühling allzufrüh
hervorwagt, und der Reif der Frühlingsnacht kommt
über sie, und sie fällt ab. Und so haben wir in der
ersten Hälfte der neunziger Jahre thatsächlich einen
großen Abfall erlebt, welcher hauptsächlich darauf zurück-
zuführen ist, daß man in der Hast der Jahre zuvor viele
unreife Elemente eingeführt hatte. Der günstige Wind
von damals hat viele leichte Ware in die christlichen
Kirchen hineingeweht, und als er nun plötzlich umschlug
und von der andern Seite blies, hat er die Spreu
wieder aus den Kirchen hinausgefegt. Der amerikanische
Missionseifer, welcher in seinem Weltbekehrungsenthusias-
mus alles mit Maschinengeschwindigkeit betreiben will,
hat sich hier in hohem Grade als verderblich erwiesen,
hat freilich, wie ich offen gestehe, auch uns mit fort-
gerissen zu allzu eiligem Vorangehen. Das Lehrgeld,
welches damals jede Mission bezahlen mußte, blieb auch
uns nicht geschenkt. Es war die Gründerzeit des
japanischen Christentums, und der große Krach konnte
unmöglich ausbleiben. Immerhin hatte auch dieser
Krach sein Gutes. Das Material der christlichen Kirchen
ist heute ein besseres, als es vor zehn Jahren war; und
wer den Stürmen widerstanden hat, wie sie in dieser
Zeit an die Mauern der Kirche anschlugen, ist heute
fester gewurzelt, als damals.

So versteht es sich denn von selbst, daß es gegen-
über einem solchen Geistesleben nicht genügt, seinen
Missionsobjekten einen christlichen Anstrich zu geben.
Denn wenn die Wogen einer feindlichen Strömung
darüber hingehen, ist der Anstrich hinweggespült, und

Hierin liegt eine große Gefahr und die ernſte
Mahnung, nicht allzuraſch an den letzten Akt zu denken,
nicht allzu früh zu taufen. Denn ſonſt könnte es gehen
wie bei der Blüte, welche ſich im Frühling allzufrüh
hervorwagt, und der Reif der Frühlingsnacht kommt
über ſie, und ſie fällt ab. Und ſo haben wir in der
erſten Hälfte der neunziger Jahre thatſächlich einen
großen Abfall erlebt, welcher hauptſächlich darauf zurück-
zuführen iſt, daß man in der Haſt der Jahre zuvor viele
unreife Elemente eingeführt hatte. Der günſtige Wind
von damals hat viele leichte Ware in die chriſtlichen
Kirchen hineingeweht, und als er nun plötzlich umſchlug
und von der andern Seite blies, hat er die Spreu
wieder aus den Kirchen hinausgefegt. Der amerikaniſche
Miſſionseifer, welcher in ſeinem Weltbekehrungsenthuſias-
mus alles mit Maſchinengeſchwindigkeit betreiben will,
hat ſich hier in hohem Grade als verderblich erwieſen,
hat freilich, wie ich offen geſtehe, auch uns mit fort-
geriſſen zu allzu eiligem Vorangehen. Das Lehrgeld,
welches damals jede Miſſion bezahlen mußte, blieb auch
uns nicht geſchenkt. Es war die Gründerzeit des
japaniſchen Chriſtentums, und der große Krach konnte
unmöglich ausbleiben. Immerhin hatte auch dieſer
Krach ſein Gutes. Das Material der chriſtlichen Kirchen
iſt heute ein beſſeres, als es vor zehn Jahren war; und
wer den Stürmen widerſtanden hat, wie ſie in dieſer
Zeit an die Mauern der Kirche anſchlugen, iſt heute
feſter gewurzelt, als damals.

So verſteht es ſich denn von ſelbſt, daß es gegen-
über einem ſolchen Geiſtesleben nicht genügt, ſeinen
Miſſionsobjekten einen chriſtlichen Anſtrich zu geben.
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darüber hingehen, iſt der Anſtrich hinweggeſpült, und

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[328/0342] Hierin liegt eine große Gefahr und die ernſte Mahnung, nicht allzuraſch an den letzten Akt zu denken, nicht allzu früh zu taufen. Denn ſonſt könnte es gehen wie bei der Blüte, welche ſich im Frühling allzufrüh hervorwagt, und der Reif der Frühlingsnacht kommt über ſie, und ſie fällt ab. Und ſo haben wir in der erſten Hälfte der neunziger Jahre thatſächlich einen großen Abfall erlebt, welcher hauptſächlich darauf zurück- zuführen iſt, daß man in der Haſt der Jahre zuvor viele unreife Elemente eingeführt hatte. Der günſtige Wind von damals hat viele leichte Ware in die chriſtlichen Kirchen hineingeweht, und als er nun plötzlich umſchlug und von der andern Seite blies, hat er die Spreu wieder aus den Kirchen hinausgefegt. Der amerikaniſche Miſſionseifer, welcher in ſeinem Weltbekehrungsenthuſias- mus alles mit Maſchinengeſchwindigkeit betreiben will, hat ſich hier in hohem Grade als verderblich erwieſen, hat freilich, wie ich offen geſtehe, auch uns mit fort- geriſſen zu allzu eiligem Vorangehen. Das Lehrgeld, welches damals jede Miſſion bezahlen mußte, blieb auch uns nicht geſchenkt. Es war die Gründerzeit des japaniſchen Chriſtentums, und der große Krach konnte unmöglich ausbleiben. Immerhin hatte auch dieſer Krach ſein Gutes. Das Material der chriſtlichen Kirchen iſt heute ein beſſeres, als es vor zehn Jahren war; und wer den Stürmen widerſtanden hat, wie ſie in dieſer Zeit an die Mauern der Kirche anſchlugen, iſt heute feſter gewurzelt, als damals. So verſteht es ſich denn von ſelbſt, daß es gegen- über einem ſolchen Geiſtesleben nicht genügt, ſeinen Miſſionsobjekten einen chriſtlichen Anſtrich zu geben. Denn wenn die Wogen einer feindlichen Strömung darüber hingehen, iſt der Anſtrich hinweggeſpült, und

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/342>, abgerufen am 22.11.2024.