zu bieten versucht. Selbstverständlich ohne biblische Kritik. Wohl konnte man an den Wundern nicht vorbei- kommen, und ich selbst halte die Wunder für menschliche und zeitliche Einkleidungen göttlicher und ewiger Wahr- heiten. Ich habe aber im Taufunterricht gegen das Wunder nicht polemisiert; ich brauchte das nicht ein- mal. Das Wunder als Wunder hätten meine Kate- chumenen nicht angenommen, und unter den japanischen Christen thun es nicht viele. Die Katechumenen waren aber zufrieden, wenn man ihnen den ewigen Kern, der Hülle entkleidet, darbot; und wenn ja einer einmal von der Form des Wunders nicht loskommen konnte, so genügte ihm eine kurze Erklärung des Wunders als einer Einkleidung vollkommen. Für so borniert sollte man doch selbst den radikalsten Fanatiker nicht halten, daß er die einfältigen Seelen junger Katechumenen in die, selbst für den Weisen noch schwierigen Details unserer biblischen Kritik einzuführen sucht, und noch viel weniger dürfte man ihm eine solche Gewissenlosigkeit zutrauen, als biete er, mit oder ohne Absicht, hungernden Seelen Steine statt Brot. Soweit ich die Unterrichtsmethode der anderen Gesellschaften kennen lernte, ist sie im wesentlichen überall die gleiche und von der unsrigen nur wenig verschieden. Überall steht das Dogmatische, sozusagen der Katechismusunterricht, zurück; dagegen steht das Bibelchristentum im Vordergrund, wie denn auch eine gute Belesenheit in der Heiligen Schrift den japa- nischen Christen nachgerühmt werden muß. Nicht als ob sie alles mit gleichem Interesse läsen und gleich- wertig schätzten; was am meisten Anklang bei ihnen findet, ist die Bergpredigt. Der Katechumene, an welchem die Bergpredigt spurlos vorübergegangen ist, durfte ruhig als hoffnungslos aufgegeben werden; und wer das
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zu bieten verſucht. Selbſtverſtändlich ohne bibliſche Kritik. Wohl konnte man an den Wundern nicht vorbei- kommen, und ich ſelbſt halte die Wunder für menſchliche und zeitliche Einkleidungen göttlicher und ewiger Wahr- heiten. Ich habe aber im Taufunterricht gegen das Wunder nicht polemiſiert; ich brauchte das nicht ein- mal. Das Wunder als Wunder hätten meine Kate- chumenen nicht angenommen, und unter den japaniſchen Chriſten thun es nicht viele. Die Katechumenen waren aber zufrieden, wenn man ihnen den ewigen Kern, der Hülle entkleidet, darbot; und wenn ja einer einmal von der Form des Wunders nicht loskommen konnte, ſo genügte ihm eine kurze Erklärung des Wunders als einer Einkleidung vollkommen. Für ſo borniert ſollte man doch ſelbſt den radikalſten Fanatiker nicht halten, daß er die einfältigen Seelen junger Katechumenen in die, ſelbſt für den Weiſen noch ſchwierigen Details unſerer bibliſchen Kritik einzuführen ſucht, und noch viel weniger dürfte man ihm eine ſolche Gewiſſenloſigkeit zutrauen, als biete er, mit oder ohne Abſicht, hungernden Seelen Steine ſtatt Brot. Soweit ich die Unterrichtsmethode der anderen Geſellſchaften kennen lernte, iſt ſie im weſentlichen überall die gleiche und von der unſrigen nur wenig verſchieden. Überall ſteht das Dogmatiſche, ſozuſagen der Katechismusunterricht, zurück; dagegen ſteht das Bibelchriſtentum im Vordergrund, wie denn auch eine gute Beleſenheit in der Heiligen Schrift den japa- niſchen Chriſten nachgerühmt werden muß. Nicht als ob ſie alles mit gleichem Intereſſe läſen und gleich- wertig ſchätzten; was am meiſten Anklang bei ihnen findet, iſt die Bergpredigt. Der Katechumene, an welchem die Bergpredigt ſpurlos vorübergegangen iſt, durfte ruhig als hoffnungslos aufgegeben werden; und wer das
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zu bieten verſucht. Selbſtverſtändlich ohne bibliſche
Kritik. Wohl konnte man an den Wundern nicht vorbei-
kommen, und ich ſelbſt halte die Wunder für menſchliche
und zeitliche Einkleidungen göttlicher und ewiger Wahr-
heiten. Ich habe aber im Taufunterricht gegen das
Wunder nicht polemiſiert; ich brauchte das nicht ein-
mal. Das Wunder als Wunder hätten meine Kate-
chumenen nicht angenommen, und unter den japaniſchen
Chriſten thun es nicht viele. Die Katechumenen waren
aber zufrieden, wenn man ihnen den ewigen Kern, der
Hülle entkleidet, darbot; und wenn ja einer einmal von
der Form des Wunders nicht loskommen konnte, ſo
genügte ihm eine kurze Erklärung des Wunders als
einer Einkleidung vollkommen. Für ſo borniert ſollte
man doch ſelbſt den radikalſten Fanatiker nicht halten,
daß er die einfältigen Seelen junger Katechumenen in
die, ſelbſt für den Weiſen noch ſchwierigen Details unſerer
bibliſchen Kritik einzuführen ſucht, und noch viel weniger
dürfte man ihm eine ſolche Gewiſſenloſigkeit zutrauen,
als biete er, mit oder ohne Abſicht, hungernden Seelen
Steine ſtatt Brot. Soweit ich die Unterrichtsmethode
der anderen Geſellſchaften kennen lernte, iſt ſie im
weſentlichen überall die gleiche und von der unſrigen
nur wenig verſchieden. Überall ſteht das Dogmatiſche,
ſozuſagen der Katechismusunterricht, zurück; dagegen ſteht
das Bibelchriſtentum im Vordergrund, wie denn auch
eine gute Beleſenheit in der Heiligen Schrift den japa-
niſchen Chriſten nachgerühmt werden muß. Nicht als
ob ſie alles mit gleichem Intereſſe läſen und gleich-
wertig ſchätzten; was am meiſten Anklang bei ihnen
findet, iſt die Bergpredigt. Der Katechumene, an welchem
die Bergpredigt ſpurlos vorübergegangen iſt, durfte
ruhig als hoffnungslos aufgegeben werden; und wer das
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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/337>, abgerufen am 22.11.2024.
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