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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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eine gewisse Vornehmheit. Durch Straßenpredigten
macht es sich vulgär und erniedrigt sich zur Gassen-
religion. Die Heilsarmee, welche mit der letzten Hälfte
des letzten Jahrzehnts Japan gleichfalls beglückt hat,
wird damit noch ihre Erfahrungen machen, wenn sie
auch derartigen Erfahrungen schwer zugänglich ist. Der
Japaner verbittet sich innerlich jede Art von Zudring-
lichkeit, wenn er auch äußerlich das nicht an den Tag
legen mag. Es lassen sich darum auch in der Weise
keine oder doch nur sehr vereinzelte Verbindungen
schaffen, daß man etwa mit seinem Nachbar in der
Pferdebahn oder in dem Eisenbahnwagen ein religiöses
Gespräch anknüpft. Damit käme man bei dem fein-
sinnigen und feinfühligen Japaner nicht weit; und in
der Regel würde man nur das eine erreichen, daß man
sich in seinem Urteil zu einem rohen, ungeschliffenen
und ungebildeten Menschen machte.

Es bedarf also anderer Mittel und Wege, das
Bekehrungsmaterial zu beschaffen. Die oben erwähnten
Besuche sind zu diesem Zweck ja durchaus nicht zu
unterschätzen; aber genügend sind auch sie noch nicht.
Es darf schon hier, gleich beim Beginn der Arbeit, nicht
dem blinden Zufall überlassen werden, ob er in seiner
Willkürlaune gewillt ist, einem solche Besucher oder gar
gleich "suchende Seelen" in das Haus zu bringen. Schon
diese erste Arbeit, weil sie eine grundlegende ist, muß
auf systematischer Grundlage beruhen. Sie darf nicht
auf Zufälligkeiten beschränkt sein, sondern muß im Zu-
sammenhang mit förmlichen wohlgegründeten Organen
stehen. Diese Organe besitzt die japanische Mission in
ihren Schulen. Aber auch Einrichtungen der inneren
Mission, wie die Fürsorge für die Verwahrlosten und
Armen und die ganze ärztliche Mission, gehören hier-

eine gewiſſe Vornehmheit. Durch Straßenpredigten
macht es ſich vulgär und erniedrigt ſich zur Gaſſen-
religion. Die Heilsarmee, welche mit der letzten Hälfte
des letzten Jahrzehnts Japan gleichfalls beglückt hat,
wird damit noch ihre Erfahrungen machen, wenn ſie
auch derartigen Erfahrungen ſchwer zugänglich iſt. Der
Japaner verbittet ſich innerlich jede Art von Zudring-
lichkeit, wenn er auch äußerlich das nicht an den Tag
legen mag. Es laſſen ſich darum auch in der Weiſe
keine oder doch nur ſehr vereinzelte Verbindungen
ſchaffen, daß man etwa mit ſeinem Nachbar in der
Pferdebahn oder in dem Eiſenbahnwagen ein religiöſes
Geſpräch anknüpft. Damit käme man bei dem fein-
ſinnigen und feinfühligen Japaner nicht weit; und in
der Regel würde man nur das eine erreichen, daß man
ſich in ſeinem Urteil zu einem rohen, ungeſchliffenen
und ungebildeten Menſchen machte.

Es bedarf alſo anderer Mittel und Wege, das
Bekehrungsmaterial zu beſchaffen. Die oben erwähnten
Beſuche ſind zu dieſem Zweck ja durchaus nicht zu
unterſchätzen; aber genügend ſind auch ſie noch nicht.
Es darf ſchon hier, gleich beim Beginn der Arbeit, nicht
dem blinden Zufall überlaſſen werden, ob er in ſeiner
Willkürlaune gewillt iſt, einem ſolche Beſucher oder gar
gleich „ſuchende Seelen“ in das Haus zu bringen. Schon
dieſe erſte Arbeit, weil ſie eine grundlegende iſt, muß
auf ſyſtematiſcher Grundlage beruhen. Sie darf nicht
auf Zufälligkeiten beſchränkt ſein, ſondern muß im Zu-
ſammenhang mit förmlichen wohlgegründeten Organen
ſtehen. Dieſe Organe beſitzt die japaniſche Miſſion in
ihren Schulen. Aber auch Einrichtungen der inneren
Miſſion, wie die Fürſorge für die Verwahrloſten und
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[312/0326] eine gewiſſe Vornehmheit. Durch Straßenpredigten macht es ſich vulgär und erniedrigt ſich zur Gaſſen- religion. Die Heilsarmee, welche mit der letzten Hälfte des letzten Jahrzehnts Japan gleichfalls beglückt hat, wird damit noch ihre Erfahrungen machen, wenn ſie auch derartigen Erfahrungen ſchwer zugänglich iſt. Der Japaner verbittet ſich innerlich jede Art von Zudring- lichkeit, wenn er auch äußerlich das nicht an den Tag legen mag. Es laſſen ſich darum auch in der Weiſe keine oder doch nur ſehr vereinzelte Verbindungen ſchaffen, daß man etwa mit ſeinem Nachbar in der Pferdebahn oder in dem Eiſenbahnwagen ein religiöſes Geſpräch anknüpft. Damit käme man bei dem fein- ſinnigen und feinfühligen Japaner nicht weit; und in der Regel würde man nur das eine erreichen, daß man ſich in ſeinem Urteil zu einem rohen, ungeſchliffenen und ungebildeten Menſchen machte. Es bedarf alſo anderer Mittel und Wege, das Bekehrungsmaterial zu beſchaffen. Die oben erwähnten Beſuche ſind zu dieſem Zweck ja durchaus nicht zu unterſchätzen; aber genügend ſind auch ſie noch nicht. Es darf ſchon hier, gleich beim Beginn der Arbeit, nicht dem blinden Zufall überlaſſen werden, ob er in ſeiner Willkürlaune gewillt iſt, einem ſolche Beſucher oder gar gleich „ſuchende Seelen“ in das Haus zu bringen. Schon dieſe erſte Arbeit, weil ſie eine grundlegende iſt, muß auf ſyſtematiſcher Grundlage beruhen. Sie darf nicht auf Zufälligkeiten beſchränkt ſein, ſondern muß im Zu- ſammenhang mit förmlichen wohlgegründeten Organen ſtehen. Dieſe Organe beſitzt die japaniſche Miſſion in ihren Schulen. Aber auch Einrichtungen der inneren Miſſion, wie die Fürſorge für die Verwahrloſten und Armen und die ganze ärztliche Miſſion, gehören hier-

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/326>, abgerufen am 22.11.2024.